Friederike Mayröcker

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Gedanken für den Tag

Friederike Mayröcker und der heilige Geist

Cornelius Hell, Literaturkritiker und Übersetzer, zum 100. Geburtstag von Friederike Mayröcker

"Ich wanderte dann umher und im Hinterhof eines Abbruchhauses sah ich einen kahlen Strauch der plötzlich zu brennen begonnen hatte, es war ein Pfingsttag. Ich wanderte dann umher und kauerte nieder und schrieb im Anblick des brennenden Busches mein erstes Gedicht."

So endet ein Text im ersten Teil der "Magischen Blätter" von Friederike Mayröcker. Den brennenden Dornbusch hat sie zu Pfingsten 1939 tatsächlich vom Fenster aus gesehen. Wichtiger als dieses Faktum ist, was sie mit dieser Szene mitteilen will, in der sich die alttestamentarische Offenbarung Gottes im brennenden Dornbusch vor Moses und die Feuerzungen des neutestamentlichen Pfingsttages verschränken.

Friederike Mayröcker signalisiert damit, dass ihr Schreiben aus einer Inspiration kommt, und sie sah darin so etwas wie einen göttlichen Funken. In einem Gespräch sagte sie mir: "Ich glaube daran, dass der Heilige Geist oder ein heiliger Geist mithilft oder mir überhaupt die Einstiegsmöglichkeiten gibt. Wenn ich dann schon im Arbeiten bin, denk ich eigentlich nicht mehr dran, aber der Anfang muss immer von oben kommen sozusagen, das geht nicht anders."

Aus dieser Erfahrung kommt auch ihre Verschränkung von Poesie und Leben. "nicht nur das Geschriebene auch die Existenz muss poetisch sein", steht im Buch "cahiers", einem Teil der späten Trilogie zwischen Poesie und Prosa. Und schon 1998 schreibt Friederike Mayröcker im Buch "brütt oder Die seufzenden Gärten": "du musst etwas wagen wenn du arbeitest, sage ich, du musst etwas einsetzen, nämlich dein Leben, deine Gesundheit, du musst tollkühn vorgehen, ich glaube tollwütig, sage ich, auf niemand Rücksicht nehmen, am allerwenigsten auf dich selbst, alle Regeln des guten Geschmacks außer Acht lassen".

In dieser Radikalität liegt für mich der heiße Kern des poetischen Universums von Friederike Mayröcker, und sie lässt mich immer wieder zurückkehren zu ihren Sätzen.

Service

Friedericke Mayröcker, "fleurs", Suhrkamp
"cahiers", Suhrkamp
"études", Suhrkamp
"Magische Blätter I-V", Suhrkamp
Marcel Beyer (Hg.), "Gesammelte Gedichte 2004-2021", Suhrkamp
Erika Kronabitter (Hg.), "HAB DEN DER DIE DAS. Der Königin der Poesie Friederike Mayröcker zum 90. Geburtstag", Edition Art Science
Bernhard Fetz, Katharina Manojlovic, Susanne Rettenwander (Hg.), "ich denke in langsamen Blitzen. Friederike Mayröcker, Jahrhundertdichterin", Paul Zsolnay
"Der Brief an den Einbrecher" in: "Wiener Hefte 2: alles aufarbeiten! Friederike Mayröcker", Wienbibliothek im Rathaus

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Sendereihe

Gestaltung

Übersicht

Playlist

Komponist/Komponistin: Igor Strawinsky 1882 - 1971
Vorlage: Giovanni Battista Pergolesi 1710 - 1736
Titel: Suite Italienne für Violoncello und Klavier - nach dem Ballett "Pulcinella"
* Aria - 3.Satz (00:04:48)
Anderssprachiger Titel: Italienische Suite
Solist/Solistin: Leonid Gorochow
Solist/Solistin: Alexander Melnikow
Ausführender/Ausführende: Leonid GOROCHOW geb.1967
Ausführender/Ausführende: Alexander MELNIKOW geb.1973 Moskau
Länge: 01:10 min
Label: Supraphon SU 32432131

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