Verse der Weisheit - Du musst dein Leben ändern

8. Februar 2025, 06:57

Gute Verse sind nicht konsumierbar, ihre Kraft erschöpft sich nicht in Popularität, sie lassen sich nicht ein für alle Mal in die Tasche stecken. In ihrer Gedrungenheit sind sie durchaus "Weisheit-to-go", doch ohne Müll zu hinterlassen.

Sie heben Erlebtes in Reflexion auf und vermitteln in der Grenzzone des Sagbaren. Das Göttliche, das schwer beschrieben werden kann, weil in Anbetracht des Göttlichen die Prosa der Welt ein Ende nimmt, lässt sich, wenn überhaupt, nur in Versen bannen. Der Gott Apoll zeigt sich in sichtbarer Gestalt höchstens den Dichter:innen, so Ovids Überzeugung in der ars amatoria. Doch wo er sich zeigt, ist er mitunter eine Statue ohne Haupt, ein Torso kalten Marmors, ein gleißend schöner Körper - doch nicht aus Fleisch und Blut. Sein Anblick lässt sich nicht besitzen oder museal verwalten und was er zu sagen hat, ist nicht behaglich.

Rainer Maria Rilke, Ovids würdiger Schüler aus Prag, ist dem antiken Gott begegnet. Die Erfahrung, die dieses Erlebnis in ihm auslöste, hat er in Versen komprimiert, in denen Apolls archaischer Torso noch wie ein Kandelaber glüht, seine Lenden ein Lächeln aussenden und sein Körper wie Raubtierfelle flimmert.

Rilke erkennt, dass es nicht er ist, der das göttliche Kunstwerk betrachtet, sondern umgekehrt: das Kunstwerk betrachtet ihn! Und es schleudert ihm den berühmten, deutschen Vers entgegen: "Du musst dein Leben ändern."

Service

Michael von Albrecht (Hg.), "Ovid: Ars amatoria. Liebeskunst", Reclam Verlag
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Rainer Maria Rilke, "Archaischer Torso Apollos", in: "Die Gedichte", Insel Verlag

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Sendereihe

• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler