Radiogeschichten
Geschichten aus Wolhynien
"Wildwuchs" von Chaim Nachman Bialik. Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama. Es liest Florentin Groll.
4. März 2025, 11:05
Um die Wölfe aus dem Dorf zu scheuchen, stehen die Männer auf den Dächern und ahmen das Brummen der Bären nach; Stürme können den kleinen Helden Schmulik eine Weile in der Luft halten, und das Hochwasser des Teteriw beschert Mordechai-Aaron eine perfekte einjährige Färse samt Futterkrippe: Tragische und komische Geschichten aus einem jüdischen Dorf Wolhyniens in den zärtlichen Schilderungen des Pioniers des Hebräischen als Literatursprache und israelischen Nationaldichters Chaim Nachman Bialik.
Drei Erzählungen, die von Feindschaft und verbotener Liebe, Stolz und Scham eines Heranwachsenden, äußerer Bedrohung und dem Traum vom verlorenen Paradies handeln, wurden von Ruth Achlama zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt: "Die beschämte Trompete", "Hinter dem Zaun" und die titelgebende Erzählung "Wildwuchs", die zwischen 1908 und 1934 entstand und aus der ein Ausschnitt in der Sendung zu hören sein wird. Außerdem findet sich in dem Band Bialiks berühmtes Langgedicht "In der Stadt des Tötens" über die russischen Pogrome in Kischinev: ein hebräisches Klagelied in mittelalterlicher Tradition, das in seinem modernen Duktus auf Paul Celan vorausweist.
Chaim Nachman Bialik, geboren 1873 in Wolhynien, verbrachte die ersten Lebensjahre im kleinen Dorf Radiwka nahe Schitomir (ukrainisch: Schytomyr), wurde von seinem Großvater religiös erzogen, setzte sich schon als Jugendlicher für die Erneuerung der jüdischen Kultur ein, publizierte und lebte in Odessa, dokumentierte das Pogrom von Kischinev 1903, floh 1922 aus der Sowjetunion nach Berlin und wanderte 1924 nach Palästina aus. Der Dichter, Autor, Verleger und Journalist, aufgewachsen mit dem Jiddischen, öffnete die Gebetssprache Hebräisch für die Literatur, in ihr schrieb er u.a. Gedichte und Erzählungen sowie - nach wie vor sehr populäre - Kinderlieder. Um sich einer Operation zu unterziehen, kam Bialik 1934 nach Wien, wo er starb.
Das historische Wolhynien liegt in der heutigen Nordwestukraine und gehörte im russischen Zarenreich zu einer Region, in der sich Juden dauerhaft ansiedeln durften, wodurch dort bedeutende Gemeinden entstanden.
Service
Chaim Nachman Bialik, Wildwuchs. Erzählungen aus Wolhynien. Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama. C.H. Beck Verlag