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PICTUREDESK.COM/KARL SCHÖNDORFER
Radiogeschichten Spezial
Der Ö1 Essay: "Aus dem Bauhaus der Natur. Die Republik der Tiere in uns". Von Alexander Kluge
Es liest Philipp Hauß
14. März 2025, 11:05
Gefühle sind gestaltlos, und nur eine Chronik der Gefühle, ein Beschreiben des Gestaltlosen also, dessen in-Form-bringen erzeugt Sinn. Und diese Fähigkeit, Sinn herzustellen, uns zu orientieren, meinte Alexander Kluge einmal, unterscheide uns vom Tier. Kluge hat sich immer als Chronist verstanden. Er glaubt, dass es möglich sei, so etwas wie ein lebender Weltempfänger zu sein, der allem, was der Fall ist, eine bestimmte Frequenz zuordnet. Er sei, sagt Kluge, ein Messgerät, ein Echolot, das durch die Welt läuft und versucht, alles aufzuschreiben und nachzumessen. Wir leben nicht in einer Gegenwart, sagt er, wir leben gleichzeitig in einer Vergangenheit, einer Zukunft und in der Möglichkeitsform, in einem Konjunktiv. Wir Autoren, so Kluge weiter, sind nicht die Herrscher der Welt, sondern Erzähler, Zusammenfüger, Sammler. Das Poetische heißt sammeln, mit dem entschiedenen Willen, Scheidungen rückgängig und Friedensschlüsse auch im unwahrscheinlichen Fall möglich zu machen. Nun ist er doch wieder bei den Tieren angelangt, das heißt, bei der offenen Grenze zwischen Mensch und Tier. Wir bilden uns ein, als Menschen keine Maschinen und auch keine Tiere zu sein, sagt Kluge, doch eigentlich stecken wir bis zum Hals in der Evolution, das heißt im Reich der Tiere, aus dem wir kommen. Wir ragen in die Moderne, ins Reich der Vernunft, nur mit Teilen unserer Eigenschaften hinein. Andere Teile in uns, wie die Verdauung oder die Haut, das Gleichgewicht und der Rhythmus, bleiben autonom, vom Willen nur wenig beeinflussbar. "Aus dem Bauhaus der Natur. Die Republik der Tiere in uns" nennt sich Alexander Kluges neues Buch.
Service
Alexander Kluge: "Aus dem Bauhaus der Natur. Die Republik der Tiere in uns", Wallstein Verlag
Sendereihe
Gestaltung
- Peter Zimmermann