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Radiokolleg
Utopie Gleichstellung
Laut UN WOMAN - einem Organ der Vereinten Nationen - wird es beim jetzigen Tempo noch 300 Jahre dauern, bis eine Gleichstellung der Frauen erreicht ist. In Österreich hat sich im Vorjahr die Situation für Frauen sogar verschlechtert, was Beruf, Bildung, Gesundheit und politische Teilhabe von Frauen betrifft. Bleibt Gleichstellung eine Utopie?
27. Februar 2025, 12:27
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Jan und Sigrid führen eine Beziehung auf Augenhöhe, wie sie selbst betonen. Sie treffen wichtige Entscheidungen gemeinsam und teilen sich Hausarbeit und Kinderbetreuung 50:50. Das begann schon bei der Babykarenz. Jan blieb ein Jahr lang zu Hause bei seiner Tochter, genauso lang wie seine Frau. Diese Erfahrung möchte er nicht missen. „Ich hätte das auch durchgezogen, wenn ich deutlich mehr verdienen würde als Sigrid“, versichert er „notfalls hätten wir uns eben vorher etwas angespart.“ Heute arbeiten beide in Teilzeit.
Doch damit sind Jan und Sigrid eine absolute Ausnahme in Österreich. Hierzulande gehen nur acht Prozent aller Männer in Karenz, lediglich ein Prozent bleibt länger als sechs Monate zu Hause. Österreich ist bei der Väterkarenz Schlusslicht in der EU.
Männer bringen sich bei der Kinderbetreuung ein
Bereits Ende der 1990er startete die damalige Frauenministerin Helga Konrad die Kampagne „Ganze Männer machen halbe-halbe“. Heute, fast drei Jahrzehnte später, sind wir immer noch weit weg von diesem Ziel, wie die aktuelle Zeitverwendungsstudie in Österreich zeigt: Frauen leisten pro Tag durchschnittlich vier Stunden unbezahlte Arbeit, Männer nur 2,5 Stunden.
Na immerhin, werden jetzt viele sagen. Und damit wir nicht nur jammern: Natürlich hat sich seit den 1970er Jahren einiges verändert. Die Sozialwissenschaft spricht sogar von einer „Gender Revolution“. Männer halten zwar beim Kochen, Putzen und Wäschewaschen den Ball eher flach, aber bei der Kinderbetreuung bringt sich der moderne Vater mittlerweile durchaus ein. „Wir sehen, dass Väter zunehmend unter Zeitdruck geraten. Denn sie verändern nichts an ihrer Vollzeitarbeit, übernehmen aber zusätzlich Kinderbetreuung“, erklärt Eva-Maria Schmidt vom Österreichischen Institut für Familienforschung (ÖIF) an der Universität Wien.
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ORF/URSULA HUMMEL-BERGER
Er Vollzeit, sie halbtags
Bei Frauen wiederum ist die Erwerbsquote stark gestiegen. Vollzeit-Hausfrau war gestern. Allerdings, so Schmidt, handle es sich hier um eine „Teilzeitrevolution“. Denn die meisten Familien entscheiden sich für das 1,5-Verdiener-Modell, sprich: Er Vollzeit, sie halbtags.
Das liege unter anderem an den gesellschaftlichen Erwartungen an Mütter, betont Soziologin Schmidt. In Österreich haben viele Frauen ein schlechtes Gewissen, wenn sie ihre Kleinen zu früh in den Kindergarten „abschieben“. 48 Prozent der Menschen hierzulande sind der Meinung, dass Kinder leiden, wenn die Mütter arbeiten. Diese Denkweise ist in anderen europäischen Ländern fremd. In Dänemark beispielsweise werden nicht die Eltern als Experten für Kindererziehung angesehen, sondern die ausgebildeten Kindergarten-Pädagoginnen, erklärt Eva-Maria Schmidt: „Dort denkt man eher, dass ein Kind darunter leidet, wenn es jahrelang nur von der Mutter betreut wird.“
Die Falle der finanziellen Abhängigkeit
Finanziell lohnt sich jedenfalls die traditionelle Arbeitsteilung für Frauen nicht. Vor allem nicht im Alter. Die Durchschnittspensionen von Frauen liegen in Österreich rund 40 Prozent unter den von Männern. Altersarmut ist weiblich. Die finanzielle Abhängigkeit vom Ehemann kann Frauen aber auch lang vor dem Pensionsalter zum Verhängnis werden. Nämlich dann, wenn Gewalt im Spiel ist. Wer sich selbst nicht erhalten kann, der - oder besser gesagt: die - denkt wohl mehrfach darüber nach, ob sie den prügelnden Familienernährer verlassen kann.
Apropos Gewalt: Eine Studie vom Grazer Institut für Männer- und Geschlechterforschung belegt, dass es in gleichberechtigten Beziehungen nur selten zu körperlicher Gewalt kommt. „Menschen, die in Familien aufwachsen, wo der Vater das letzte Wort hat, erleben häufiger Gewalt“, erklärt Studienautorin Elli Scambor.
Noch ein langer Weg
Laut UN-Frauenrechtskommission liegt jedenfalls noch ein langer Weg vor uns: Bei der jetzigen Geschwindigkeit würde es demnach noch 300 Jahre dauern, bis eine weltweite Gleichstellung der Geschlechter erreicht werden kann. Immerhin, bis zur Gleichberechtigung am Arbeitsplatz sollen es nur 140 Jahre sein. Die Hoffnung stirbt zuletzt.