Marc Chagall und das Leid

29. März 2025, 06:57

Brandstiftung, Plünderung und Vertreibung. Eine Welt der Gewalt und Unmenschlichkeit ist auf diesem Bild dargestellt. Der jüdische Maler Marc Chagall spricht in seinem Ölgemälde "Die weiße Kreuzigung" das unsagbare Leid an, das dem jüdischen Volk im Laufe der Geschichte immer wieder angetan wurde. Angesichts der zunehmenden Judenverfolgung in Europa hat er es 1937 zu malen begonnen. Kurz nach den Novemberpogromen hat er es fertiggestellt.

Chagall war selbst der Verfolgung ausgesetzt. Zu Beginn der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft wurden einige seiner Bilder öffentlich verbrannt. Später haben die Nationalsozialisten alle Chagall-Werke in deutschen Museen beschlagnahmt. 1941 hat man Chagall kurzzeitig in Marseille verhaftet. Dank einer Intervention wurde er wieder freigelassen und ist in die USA emigriert.

Chagalls Gemälde über die Judenverfolgungen gehört zu den meistdiskutierten Bildern der Kunstgeschichte. Dies liegt an dem zentralen Motiv. Denn inmitten des grauenvollen Geschehens ist riesengroß - das ganze Bildzentrum einnehmend - der gekreuzigte Jesus dargestellt. Um die Lenden trägt er einen jüdischen Gebetsschal. Die Figur Christi wird hier zu einem Symbol für das Leiden und Schicksal des jüdischen Volkes. Durch die Gestalt des Gekreuzigten stellt Chagall eine Verbindung zwischen der jüdischen und der christlichen Kultur her.

Mich interessiert die "Weiße Kreuzigung", übrigens das Lieblingsbild von Papst Franziskus, aber auch, weil sie zeigt, was Kunst leisten kann. Kunst kann nicht unmittelbar gesellschaftsverändernd eingreifen. Aber sie kann Unrecht und Leid sichtbar machen. Mittels einer Bildsprache, die konkret auf Zeitgeschichtliches Bezug nimmt. Und dennoch so vielschichtig ist, dass sie auch Jahrzehnte oder Jahrhunderte später noch Rätsel aufgibt.

Service

Podcast abonnieren

Sendereihe

• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler