Zwischenruf
Vom Leben in Würde
von Sr. Karin Weiler CS, katholische Theologin und Supervisorin
30. März 2025, 06:55
Von Würde ist viel die Rede: Sie ist unantastbar und dennoch höchst bedroht, in politischen Unrechtsregimen, in untergriffiger Sprache, im Vorurteil gegenüber Menschen, die von Armut betroffen sind. Ich habe mit Menschen in der letzten Lebensphase zu tun. In Zeiten der Verletzlichkeit, der Krankheit, des Sterbens scheint vielen das Erleben von Würde bedroht.
Der Kanadier Harvey Chochinov entwickelte aus einer Studie mit Menschen am Ende des Lebens sein Modell der Würde. Die Befragten nannten drei Aspekte, die das Erleben von Würde beeinflussen: krankheitsbezogene und soziale Aspekte. Pflegende können hier durch ihre feine Art des Umgangs Würde stärken.
Drittens nennt er würdebewahrende Perspektiven. Als Person wahrgenommen zu werden, die ihren eigenen Weg hat, mit widrigen Situationen umzugehen, ist wichtig für das Erleben von Würde: Dass ich mich in meiner Krankheit noch als ich selbst erlebe, dass ich über meinen Tod hinaus noch etwas zu geben habe oder mich erinnere an Zeiten, in denen ich mich besonders lebendig gefühlt habe und auf die ich stolz bin, kann die Würde stärken.
Chochinov entwickelte das Konzept der würdezentrierten Therapie. In der CS Caritas Socialis gibt es eine Gruppe von dafür ausgebildeten Haupt- und Ehrenamtlichen, die diese Begleitung anbieten. Mit gezielten Fragen laden sie Menschen ein, sich an prägende Ereignisse und Begegnungen zu erinnern und die eigene Lebensgeschichte zu würdigen. Das Interview wird aufgezeichnet. Daraus wird ein persönliches Dokument gestaltet, das der Person, die das Interview gegeben hat, bei einem weiteren Treffen vorgelesen wird. Die Erfahrung, all das, was mein Leben ausmacht, was ich mir lieben Menschen mitteilen will und worauf ich im Rückblick stolz bin, vorgelesen zu bekommen, ist unglaublich bestärkend. Ich selbst habe diesen Moment in meiner Ausbildung als besonders würdestärkend erlebt.
Eine Ehrenamtliche hat Frau M., die ihre letzten Lebenswochen im stationären Hospiz Verena in der Pramergasse verbrachte, diesen Lebensspiegel angeboten. Frau M. ließ die Stationen ihres Lebens Revue passieren. Sie sprach von glücklichen und schweren Zeiten, von den Menschen, die sie geliebt und von den Herausforderungen, die sie gemeistert hatte. Es bedeutete ihr viel, ihre Geschichte zu erzählen. Es war ein Rückblick und eine Würdigung ihres Lebens. Das fertige Dokument hielt sie voll Stolz in Händen. Sie hinterließ den Lebensspiegel mit ihrem Familienfoto ihrer Familie, den Bewohner:innen und Kolleg:innen im Hospiz. In den letzten Wochen ihres Lebens fand sie eine tiefe innere Ruhe und starb schließlich mit dem Wissen, dass das, was sie war und was sie gegeben hatte, weiterlebt in den Herzen der Menschen, die ihr zugehört haben.
Hospize sind Orte der Würdigung des Lebens. Oft habe ich den Gedanken, alle Bereiche der Gesellschaft, des Lebens, nicht erst ganz am Schluss, sondern mitten im Leben könnten etwas lernen von der hospizlichen Haltung: Würde zu stärken.