
LAURENT ZIEGLER
Supernova
Ensemble Phace spielt Januibe Tejera
Wehmut der Fremdheit. Uraufführung des Auftragswerks "Lost Alphabet" im Berio-Saal des Wiener Konzerthauses
4. Mai 2025, 19:45
Transparente Rechtecke schienen auf der Bühne zu schweben: Wie die Rückwand Leinwände für Filmprojektionen, mit denen die Musikerinnen und Musiker dahinter verschmolzen oder sich im Halbdunkel davon abhoben. Elektronik, Naturlaute und Livemusik, visuelle Eindrücke von Mikro- bis Makrokosmos. Grobkörniges in Zeitlupe, komplexe Geometrie, bewegte Schrift. Und im Gesang: zu erahnende Lyrik.
Vieles von dem, was das Publikum am 11. Februar 2025 im Berio-Saal des Wiener Konzerthauses bei der Uraufführung von Januibe Tejeras "Lost Alphabet" erleben konnte, fällt bei diesem Mitschnitt zwar weg: Raumkonzeption, Medienregie und Lichtdesign (Thomas J. Jelinek). Der "Rest" dieses zweiten Konzerts im Zyklus Phace war aber bedeutend mehr als eine bloße Tonspur. Das rund einstündige Werk für Stimme, fünf Musiker/innen und Elektronik entfaltete seine poetische Wirkung auch dann, wenn man zwischendurch probeweise die Augen schloss.
In "Lost Alphabet" geht der 1979 in Brasilien geborene Januibe Tejera, so beschreibt es das Ensemble Phace, "jenen seltsamen Gefühlen zwischen Fremdheit und Neuentdeckung nach, die sich bei einem Umzug oder Ortswechsel, bei einer Änderung des Lebensmittelpunkts einstellen." Den Ausgangspunkt bilden dabei Passagen aus Lisa Olsteins gleichnamigem Gedichtband, "in denen die Natur - als ständige Referenz und gleichzeitig als völlig formloses Modell - das Reale und das Unwirkliche ineinandergreifen. Auf dieser textlichen Grundlage (Stimme: Peyee Chen) nähert sich Tejeras Musik jenen kontinuierlichen und natürlichen Prozessen der Entfremdung, die diejenigen erfahren, die zwischen verschiedenen Ländern, Kontinenten, sozialen Klassen und kulturellen Modellen pendeln und tritt dabei gleichzeitig in einen musikalischen Dialog mit seiner Heimat."
Sendereihe
Gestaltung
- Walter Weidringer