
PICTUREDESK.COM/ULLSTEIN BILD/THOMAS-MANN-ARCHIV
Gedanken für den Tag
Über Thomas Mann
Gedanken von Hosea Ratschiller, Kabarettist, zum 150. Geburtstag von Thomas Mann
4. Juni 2025, 06:57
Ein Menschenfreund, der von Gesellschaft träumt, kommt ohne Ironie kaum aus. Totale Verbindung kann nur mit Nachdruck behauptet werden, aber zugeneigte Distanz lässt sich mit ironischer Haltung relativ sanft zum Ausdruck bringen.
Walk a mile in my shoes, versetze dich kurz in meine Lage, das empfiehlst du einem Gegenüber, das deinen Standpunkt grundsätzlich in Abrede stellt. Die Ironie zieht sich jeden Schuh an. Sie geht ein paar Schritte des Weges auf der anderen Seite, vergisst sich selbst dabei aber nicht und betreibt also nicht Aneignung, sondern stellt Verbindung her. Thomas Mann war ein Virtuose der Ironie, diesem sozialsten aller Stilmittel. Ähnlich gern gelacht habe ich nur bei Elfriede Jelinek.
Weltliteratur beschreibt das Zwischenmenschliche als Geflecht, das nicht nur verbindet, sondern Menschen als Menschheit durchwirkt. Vielleicht sehe ich das mit der rosa Brille des Kabarettisten, aber am Zauberberg geht es ziemlich lustig zu. Wann und wo Thomas Manns federnder Stil von pangermanischem Eifer getragen war, das können Kundigere besser einschätzen, mein Leseeindruck ist, dass er die Ironie ausschleicht, als deutsche Kultur 1934 so total schlapp macht, wie keine Kultur davor jemals schlapp gemacht hatte. Satire darf alles, außer gewinnen.
Ohne humanistisches Vorhaben verkümmert Ironie zum Spott. Wenn das Liberale zum Libertären entgleist und als Faschismus gegen die Wand fährt, wird diese Eskalation von endlosem Spott befördert, aber niemals von Ironie. Spott von unten ist Notwehr, Spott von oben ist Machtmissbrauch und als Grundton von Gesellschaft ist Spott das finale Alarmsignal vor dem Zusammenbruch. Das Rudel heult auf, wenn es das Gemeinsame aus den Augen verliert. Aber solange Ironie möglich bleibt, hat das Miteinander beste Aussichten.
Service
Thomas Mann, "Große kommentierte Frankfurter Ausgabe. Werke, Briefe, Tagebücher", S. Fischer Verlag 2002
Dieter Borchmeyer, "Thomas Mann. Werk und Zeit", Verlag Insel 2023
Michael Maar, "Das Blaubartzimmer. Thomas Mann und die Schuld", Rowohlt Verlag 2025
Podcast abonnieren
Sendereihe
Gestaltung
Übersicht
Playlist
Komponist/Komponistin: Frederic Chopin 1810 - 1849
Album: CHOPIN: NOCTURNES / AUSWAHL - DANIEL BARENBOIM
Titel: Nocturne für Klavier Nr.6 in g-moll op.15 Nr.3 : Lento
Solist/Solistin: Daniel Barenboim
Länge: 03:56 min
Label: DG 4151172