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Gedanken für den Tag
Ein ganz und gar menschliches Buch
Johannes Modess, evangelischer Pfarrer, zum 40. Todestag von Heinrich Böll
19. Juli 2025, 06:57
Erst vor wenigen Wochen ist der Briefwechsel zwischen Heinrich Böll und Ingeborg Bachmann erschienen, unter dem Titel: "Was machen wir aus unserem Leben?"
In seinen Briefen an Bachmann zeichnet Heinrich Böll da von sich das Bild eines eigentlich sehr faulen Menschen, der nur die ganze Zeit durch Geldnot, Hausbau und literarischen Verpflichtungen von der Faulheit abgehalten wird. In diesem Kampf um die Muße kann man dem Menschenkenner Böll beim Menschsein zuschauen.
Interessant daran ist für mich, dass zu seinen existenziellsten Utopien der Faulheit die Religion stets dazugehört. "Ich möchte am liebsten immer in meinem Schlafzimmer bleiben, die Kinder und meine Frau um mich, im Bett essen, lesen, rauchen und abends dann unrasiert in eine Abendmesse schleichen.", schreibt er etwa am 27. Jänner 1955 an Bachmann. Eine ganz ähnliche Szenerie hat er sich schon zwei Monate zuvor in einem Brief erträumt. Da sieht er sich wie Oblomow, den großen Faulenzer der Literaturgeschichte: "es ist mir am liebsten, wenn ich mit Kaffeekanne, Cigaretten, Wein neben mir - im Bett liege, sehr früh, abends um 8 - und meinen Kindern, die um mich herumliegen, Geschichten erzähle, wobei - bei den Kindern sowohl wie bei mir - die Bibel den ersten Rang einnimmt."
Biblische Geschichten als Kernelement einer zutiefst menschenfreundlichen Utopie der Faulheit - mit diesem Gedanken kann ich einiges anfangen. Denn wie Böll glaube auch ich daran, dass aus herumliegenden Kindern, die biblische Geschichten aufsaugen, wieder Menschen werden, die wie der Autor selbst "gerne Gutmenschen" sind. Und das sind eben auch Menschen, die es sich gutgehen lassen können und das auch ausstrahlen. Die Bibel, so meine ich, gehört auch dorthin, wo es das Leben gut mit uns meint - und manchmal werden wir von ihren Geschichten genau dorthin geführt.
Service
Renate Langer (Hg.), "Ingeborg Bachmann. Briefe. Heinrich Böll. 'Was machen wir aus unserem Leben?'", Kiepenheuer & Witsch, Piper, Suhrkamp
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Sendereihe
Gestaltung
Playlist
Komponist/Komponistin: Raino Rapottnig
Vorlage: Richard Wagner 1813 - 1883
Album: TRISTAN.ISOLDE.JAZZ
Titel: mein irisch kind/instr.
Solist/Solistin: Raino Rapottnig
Solist/Solistin: David Mayrl
Länge: 02:47 min
Label: Extraplatte EX 5972