Frantz Fanon

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Gedanken für den Tag

Frantz Fanon in der Klinik

Brigitte Schwens-Harrant, Literaturwissenschaftlerin, Buchautorin und Feuilletonchefin der Wochenzeitung "Die Furche", zum 100. Geburtstag von Frantz Fanon

1953 gehört Algerien noch zu Frankreich, neun von zehn Einwohnern sind keine Europäer. Das psychiatrische Krankenhaus in Blida ist eine Stadt in der Stadt. Als der junge Psychiater Frantz Fanon als Oberarzt 1953 an die für 800 Personen zugelassene Klinik kommt, beherbergt sie 2000 Patienten. Sie sind nach Männern und Frauen, Europäern und Indigenen getrennt untergebracht. Beschäftigungslos findet Fanon sie vor, teils am Bett oder sogar an Bäumen festgebunden.

Für die Sozialtherapie, die Fanon aufgreift, braucht es ein soziales Netz, das Personal und Patienten gemeinsam knüpfen - mit kulturellen Aktivitäten wie Festen, Musik und Kino. "Eines der schlimmsten Übel des Eingesperrtseins, die krankhafte Unruhe, ist verschwunden; und bereits in den ersten Monaten werden alle Fixiergurte an die Verwaltung zurückgegeben", schreibt Alice Cherki in ihrer Biografie.

Was aber in den Pavillons der europäischen Frauen rasch und gut aufgeht, scheitert bei den muslimischen Männern. Auch das Personal leistet heftigen Widerstand dagegen. Diesen Widerstand scheint Fanon aber durchaus gewollt zu haben. Assimilierung bedeutet in einer kolonisierten Gesellschaft das Verschwinden der eigenen Kultur zugunsten der dominanten. Der Widerstand gegen die Maßnahmen ist daher eine Weigerung, sich und die eigene Kultur negieren zu lassen. Man gründet ein Café, feiert muslimische Feste, lässt Wandererzähler kommen - ein soziales Netz entsteht.

"Ich musste mehrere Dinge beweisen", sagt Fanon später, "dass die algerische Kultur andere Werte beinhaltet als die koloniale Kultur; dass diese (.) Werte ohne Komplexe von denjenigen angenommen werden müssen, die ihre Träger sind - den Algeriern, seien sie Pfleger oder Patienten. Ich musste, um das algerische Personal zu gewinnen, ein Gefühl der Revolte erzeugen".

Service

Alice Cherki, "Frantz Fanon. Ein Porträt", Edition Nautilus
Frantz Fanon, "Aspekte der Algerischen Revolution. Die Verdammten dieser Erde", Verlag Suhrkamp

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Helmo Rota d Lourcua
Komponist/Komponistin: Stefane Mellino
Album: FAMILLE NOMBREUSE
Titel: Sous le soleil de Bodega
Ausführende: Les Negresses Vertes
Länge: 03:26 min
Label: Delabel 030918

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