Ernst Jandl

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Gedanken für den Tag

Ernt Jandl und die Religion

Cornelius Hell, Literaturkritiker und Übersetzer, zum 100. Geburtstag von Ernst Jandl

Aus zwei Organisationen ist Ernst Jandl zeit seines Lebens nie ausgetreten: aus der SPÖ und aus der katholischen Kirche. Dem Katholizismus seiner Kindheit und Jugend hat er sich gegen Ende seines Lebens sogar wieder angenähert. Das führte zu einer Arbeit mit religiösem Sprachmaterial, die oft auch provoziert und verstört hat, aber immer originell war. Im Gespräch sagte mir Ernst Jandl: "Ich glaube, dass ein gewisses Spiel mit religiösen Vorstellungen diese nicht unbedingt in Frage stellen muss und nicht unbedingt das Ziel hat, sie in anderen Menschen zu zerstören."

In der Auseinandersetzung mit religiösen Formeln und Gebeten war Ernst Jandl in der österreichischen Literatur seit den 1970er Jahren keineswegs allein. Für nicht wenige Autorinnen und Autoren damals war die Sprache der Liturgie die erste Sprachform, die sich von der des Alltags unterschied - und die durch ihre Wiederholungen von Wörtern und Wortfolgen, durch Rhythmus und Musikalität viel mit der poetischen Sprache gemeinsam hat. Vor diesem Hintergrund ist es gar nicht so exotisch, dass Peter Handke bei seiner Nobelpreisrede ein Stück aus der lauretanischen Litanei auf Slowenisch rezitiert hat.

Ernst Jandl hat mir zwei Jahre vor seinem Tod in einem Gespräch seine Prägung durch die katholischen Gebete so zusammengefasst: "Diese Texte, ich meine das "Ave Maria" und das "Vater unser", haben eine magische Kraft gehabt für den kleinen Jungen, der ich einmal war. Ich lasse das Wort magisch beiseite, weil es in die Irre führen kann - aber an der Kraft, die in diesen fixen Formulierungen liegen kann, daran gibt es keinen Zweifel ."

In unzähligen Gedichten hat Ernst Jandl mit Gebeten und religiösen Sprachformeln experimentiert. In seinem autobiografisch geprägten Alterswerk wird die Erfahrung des alternden, hinfälligen Körpers in die religiöse Sprache mit einbezogen. "meine knie sind wund / also knie ich nicht nieder" - so beginnt das erste Gedicht des Bandes "peter und die kuh"

Service

- Ernst Jandl, "mal franz mal anna", Gedichte, Reclam 2020
- Ernst Jandl, "Laut und Luise", Reclam 2025
- Ernst Jandl, "Werke in sechs Bänden" (Taschenbuch-Kassette), Luchterhand Literaturverlag 2016
- Ernst Jandl, "peter und die kuh", Gedichte, Luchterhand Literaturverlag 1996
- Ernst Jandl, "stanzen", Luchterhand Literaturverlag 1992
- Hans Haider, "Ernst Jandl 1925-2000. Eine konkrete Biographie", Verlag J. B. Metzler 2023
- "Ernst Jandl zum 100. Lieblingsgedichte", ausgewählt und kommentiert von Luchterhand-AutorInnen, Hrsg. von Christoph Bultmann, Regina Kammerer, Martina Klüver und Mirjam Spinrath, Luchterhand Literaturverlag 2025
- Bernhard Fetz, "Ernst Jandl. Biografie einer Stimme", Wallstein Verlag 2025

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Thomas Gansch
Gesamttitel: HALF A YEAR TOO EARLY - DEMO
Titel: Wet man/instr.
Solist/Solistin: Thomas Gansch
Solist/Solistin: Wolfgang Muthspiel
Solist/Solistin: Georg Breinschmid
Länge: 01:10 min
Label: Demo

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