Radiokolleg
Maria von Herbert und die Entdeckung der Freiheit (3)
Die unerträgliche Leere der Seele
6. August 2025, 09:30
Im späten 18. Jahrhundert bricht das weibliche Emanzipationsstreben stärker denn je hervor. Während Maria von Herbert und Kant Briefe austauschen, diskutieren Philosophinnen und Philosophen in ganz Europa über Bürgerrechte für Frauen - auch in Kants unmittelbarem Umfeld in Königsberg, der sich sogar vom Vorwurf distanzieren muss, der Autor pseudonym veröffentlichter feministischer Pamphlete zu sein. Doch dieser erwachte Freiheitsdrang trifft auf fortbestehende Bevormundung und Unterdrückung - ein Widerspruch, der sich in Maria von Herberts zweitem Brief an Kant spiegelt. Weil ihr die Umstände die Verwirklichung einer selbstgewählten Bestimmung versagen, verfällt sie in einen Zustand von Apathie und Leere, in dem ihr selbst die Aufgaben der Moralität gering erscheinen. Sie verlangt von Kant, ihr entweder einen Lebenszweck zu geben, mit dem sie "diese unerträgliche leere aus meiner Seele schaffen könnt" - oder aber eine Lizenz zur Selbsttötung. Nicht nur wusste Kant auf diese Fragen offenbar keine Antwort - wie rückständig seine eigene Sicht auf Frauen blieb, zeigt sich auch an seinem Umgang mit Maria von Herbert: Als er ihren zweiten Brief erhält, leitet er beide Schreiben der "kleinen Schwärmerin" als warnende Beispiele vor den "Verirrungen einer sublimirten Phantasie" an die Tochter eines befreundeten Kaufmannes weiter. Begegnete er seiner Korrespondentin zuvor auf Augenhöhe, hört er nun auf, sie ernst zu nehmen - und wird dabei seiner eigenen Morallehre untreu.
Gestaltung: Barbara Volfing & Miguel de la Riva