Radiokolleg
Maria von Herbert und die Entdeckung der Freiheit (4)
Das reinste und heiligste Gefühl
7. August 2025, 09:30
Immer wieder fragt sich Maria von Herbert in ihren Briefen, wofür es sich zu leben lohnt, und ob es nicht besser ist, das eigene Leben zu beenden, wenn man auf diese Frage keine Antwort hat. Mit ihrem letzten Brief an den Philosophen Immanuel Kant scheint sie eine solche Antwort gefunden zu haben. Nach schweren Prüfungen erfreue sie sich nun einer "unerschütterlichen Ruh". Sie reflektiert ihren anhaltenden "Wunsch des Todes" souverän und erkennt Gründe an, weiterzuleben - vor allem für andere. Womöglich hängt dies damit zusammen, dass sie und ihr Geliebter wieder zueinander gefunden haben, dessen Zurückweisung sie in ihrem ersten Brief so ergreifend schilderte. Wie neue Archivfunde zeigen, ist sie zum Zeitpunkt ihres letzten Schreibens mit einem gemeinsamen Kind schwanger, dass sie vor den Toren Klagenfurts unehelich zur Welt bringt und auf den rätselhaften Namen "Barnabas" tauft, "Sohn des Trostes". Ihr sehnlicher Wunsch - "ich wolt mit grösten Eifer noch einmahl so Viel erfühlen" - muss also in Erfüllung gegangen sein, zumindest vorübergehend. Und doch, letztlich hat der alte Kant Maria von Herbert überlebt. Noch kurz bevor der Philosoph in Königsberg 1804 starb, hatte sie sich mit 33 Jahren vor den Toren Klagenfurts in die Drau gestürzt - und wurde nie aufgefunden.
Gestaltung: Barbara Volfing & Miguel de la Riva