Friedrich-Nietzsche-Büsten

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Gedanken für den Tag

Friedrich Nietzsche und der Tod Gottes

Gerald Hödl, Religionswissenschaftler, zum 125. Todestag

Einer der bekanntesten Texte von Nietzsche ist die Parabel vom "tollen Menschen", Abschnitt 125 der "Fröhlichen Wissenschaft". Darin wird ein Mann beschrieben, der am Vormittag mit einer Laterne auf den Markt läuft und ausruft, dass er Gott sucht.

Unter den Umstehenden sind viele, die nicht an Gott glauben. Diese machen sich über ihn lustig, indem sie ihn fragen, wo Gott wohl hingegangen ist. Er antwortet ihnen, dass Gott tot ist und wir alle ihn getötet haben. In eindrucksvollen Bildern wird dann beschrieben, was der Tod Gottes bedeutet. Das gipfelt in der Frage, wie man Sühne dafür leisten könne, dass "das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besaß" "unter unseren Messern" verblutet ist.

Nietzsche lässt den tollen Menschen noch sagen, dass dieses Ereignis noch unterwegs ist und noch nicht bis zu den Ohren der Menschen gedrungen. Und das ist der Punkt der Geschichte: Nicht, wie manche Theolog:innen zu lesen glaubten, geht es darum, dass Nietzsche hier um Gott trauert. Der tolle Mensch sucht nicht Gott, er sucht, wie man aus dem Kontext entnehmen kann, den Menschen. So ist etwa die ganze Szene eine Anspielung auf den antiken Philosophen Diogenes, der am Vormittag mit einer Laterne den Menschen gesucht hat.

Bevor die Idee Gottes unglaubwürdig geworden ist - und nicht mehr als das bedeutet die Rede vom "Tod Gottes", war alles von ihr her bestimmt: zuletzt auch, was der Mensch ist. Wenn diese Idee nun wegfällt, kann man nicht mehr bequem in der Welt mit den aus dieser obsoleten Vorstellung resultierenden Werten weiterleben. Nietzsche schlägt deshalb eine Neuinterpretation der Welt vor, in der das Schwergewicht nicht mehr auf eine transzendente Sphäre außerhalb der Welt gelegt wird, sondern auf die Welt, in der wir leben - denn außer ihr gibt es keine zweite. Die rein immanent gedachte Welt ist nun diejenige der Ewigen Wiederkehr, in der auch alles determiniert ist.

Service

Friedrich Nietzsche, "Die fröhliche Wissenschaft", Reclam 2024
Friedrich Nietzsche, "Also sprach Zarathustra", Reclam 2023
Friedrich Nietzsche, "Ecce homo", Anaconda 2025
Christian Tietz, "Nietzsche. Leben und Denken im Bann des Christentums", C. H. Beck 2025

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Kyrre Kvam
Gesamttitel: ALTES GELD
Titel: Altes Geld - Der Mensch im Tier
Ausführende: Kyrre Kvam
Länge: 04:00 min
Label: ORF-Enterprise Musikverlag

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