Vorgestellt

Wiens 1930er Jahre und die Liebe zum Lied

Ersteinspielungen auf zwei CDs mit klang- und energievoller Musik aus dem 20. Jahrhundert: zum einen die Wiederentdeckung der "Liedermacher" Robert Gund und Wilhelm Grosz durch Chrsitian Immler und Helmut Deutsch, zum anderen Kammermusik von Ernst Gernot Klussmann mit dem Kuss Quartett.

Kann ein weitgehend unbekannter Komponist unser Liedrepertoire bereichern? Aber ja, und wie! Robert Gund, geboren 1865 und gestorben 1927, wird von seinem Biographen Ernst-Jürgen Dreyer als "ein vergessener Meister des Liedes" bezeichnet. Er war der außereheliche Sohn des Komponisten Robert von Hornstein, den Richard Wagner in "Mein Leben" als respektlos charakterisiert. 1904 wird Gund zusammen mit Zemlinsky und Schönberg Vorstandsmitglied der Vereinigung schaffender Tonkünstler Wien und deren Archivar.

Dank des "exil.arte-Zentrums für verfolgte Musik" an der Wiener Musikuniversität sind viele Manuskripte der Lieder Robert Gunds transkribiert und digitalisiert, und damit auch zugänglich für Musikerinnen und Musiker. Und so entstand die CD "Be Still My Heart" mit Liedern von Robert Gund und seinem jüngeren Kollegen Wilhelm Grosz (1894-1939), eingespielt vom deutschen Bariton Christian Immler, dessen besonderes Interesse seit langem den Werken vertriebener Komponisten gilt, und dem Pianisten Helmut Deutsch.

Daneben eine zweite Neuentdeckung, nämlich jene des aus Hamburg stammenden Komponisten Ernst Gernot Klussmann (1901-1975) durch das deutsche Kuss Quartett. Klussmanns Musik wird bei seinem NSDAP-Eintritt 1933 (der wohl eher erfolgte, um seine junge Familie zu schützen) als zwar nicht entartete, aber "entwurzelte Kunst" diffamiert, darunter auch sein 1930 entstandenes Streichquartett. Im weit früher entstandenen Klavierquintett op. 1 aus 1925 zeigt sich Klussmann noch ganz der Spätromantik verpflichtet.

Die Darbietung durch das Kuss Quartett und den Pianisten Péter Nagy unterstreicht die weit ausladende, symphonische Größe und klangliche Wucht sowie die überzeugenden Spannungsverläufe des Werks, sie kann jedoch freilich nicht über kompositorische Schwächen hinwegtäuschen. Und doch: sind die wenigen melodischen Einfälle wirklich die harsche Kritik im Booklet wert: "Viel Lärm um nichts"? Oder war es nicht eher die im Grund romantische Musik Klussmanns, die im Nachkriegsdeutschland keine Chance hatte? In solch exzellenter Interpretation jedenfalls rechtfertigt das Album diese "Ausgrabung" allemal.

Service

Aktuelle Aufnahmen:

"Ernst Gernot Klussmann: Klavierquintett e-Moll op. 1 + Streichquartett Nr. 1 op. 7"
Ausführende: Kuss Quartett, Péter Nagy (Klavier)
Label: EDA records

"Be still My Heart"
Musik von Wilhelm Grosz und Robert Gund
Ausführende: Christian Immler (Bariton), Helmut Deutsch (Klavier)
Label: alpha classics

Sendereihe

Gestaltung

  • Irene Suchy