Radiokolleg spezial
Im Fluss - die Theiß entlang von Transkarpatien bis zur Donaumündung (2)
Von Chust bis Tokaj
30. September 2025, 09:05
Bekannt ist Chust für sein Narzissental etwas außerhalb, die kleine Stadt selbst scheint heute kaum etwas zu bieten zu haben. Dabei waren hier Rumänen, Deutsche, Slowaken, Ruthenen, Juden und Ungarn zu Hause. Ziegel und Keramik wurde hergestellt: Veronika Witerec und ihr Partner Vasil Polashinec verpassen mit ihrer kleinen Firma "Lay Bottle" der alten Tradition einen neuen Anstrich; upcyclen Keramikteile und Glasscherben und fertigen aus ihnen in einem speziellen Verfahren Schmuckstücke und Schalen, in die die traditionellen Muster der Huzulen und anderer Gruppen eingearbeitet sind.
Von den vielen ethnischen Minderheiten sind die Ungarn bis heute die größte. Erst voriges Jahr wurde ein ungarischer Kindergarten eröffnet in Anwesenheit ungarischer Politprominenz. Seit einigen Jahren dürfen Kinder in der Ukraine nur noch bis zur vierten Klasse Ungarisch unterrichtet werden - ein weiterer Anlass für Ungarns Präsidenten Orban, verbal gegen das Nachbarland auszuteilen und der Minderheit seine Rückendeckung zu versichern.
Die Theiß mäandert gemächlich in Richtung Westen, bildet die Grenze zwischen der Ukraine und Ungarn und besucht, ehe sie sich ganz Ungarn zuwendet, den äußersten Zipfel der Slowakei. Im Dreiländereck liegt Cierna nad Tisou, eine Kleinstadt, die ausschließlich aus zwei Elementen zu bestehen scheint: aus sozialistischen Wohnbauten aus den 1940er Jahren und danach - und aus Bahngleisen. Die wenigen Züge scheinen sich am gewaltigen Verladebahnhof zu verlieren. Bis heute werden Transporte von der breiteren russischen auf die schmalere Spurbreite umgeladen. Die Bedeutung des Bahnhofs steigt dank Ukrainekrieg wieder.
Auf ungarischem Terrain durchfließt die Theiß eine der ältesten Siedlungen der Magyaren, Szabolcs, wo die Grabungstätigkeiten in den vergangenen Jahren intensiviert worden sind. Schließlich münden bei Tokaj Bodrog und Theiß ineinander. Zwei Flüsse, die weniger wegen Transportzwecken für die Region, ein UNESCO-Weltkulturerbe, wichtig sind. Sie sorgen für eine einzigartige klimatische Voraussetzung, die den Anbau des Tokajer Weins ermöglicht.
Transportiert wird über die Theiß heute nichts mehr. Früher waren es Salz und Holz, der Tokajer, der berühmte Weißwein der Region, fand seine Abnehmer über den Landweg. Populär ist der Wein heute immer weniger in Europa, dafür immer mehr in Südostasien.
Dass die Traube ihren einzigartigen Geschmack erhalten hat, liegt am Schimmelpilz Bodrytis. Der konnte sich bilden, weil Bauern des 18. Jahrhundert in die Armee eingezogen wurden und ihre Trauben erst verspätet lesen konnten, so die Legende. Der Streit um den Markennamen ist inzwischen geschlichtet: auch vier Orte, die nach der Gründung der Tschechoslowakei 1918, nicht mehr zu Ungarn, aber zur kulturhistorischen Weinregion gehörten, dürfen die Bezeichnung "Tokajer" führen.
In und um Tokaj finden sich noch Reste der früher zahlreichen jüdischen Gemeinschaft: von US-Touristen oftmals besuchte Grabstätten orthodoxer Rabbis und die Synagoge der Stadt. Auch von der Minderheit der Sathmarer Schwaben ist nicht mehr viel geblieben. Deutsch ist inzwischen meist zur Fremdsprache geworden.
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- Sonja Bettel