
ORF/URSULA HUMMEL-BERGER
Punkt eins
Die Wiener Kaffeehauskultur
Institution, Tradition, Klischee, Weltkulturerbe und magischer Ort. Gast: Gregor Auenhammer, Schriftsteller, Journalist. Moderation: Andreas Obrecht. Anrufe 0800 22 69 79 | punkteins(at)orf.at
3. Oktober 2025, 13:00
"Das Kaffeehaus ist ein Ort, in dem Zeit und Raum konsumiert werden, aber nur der Kaffee auf der Rechnung steht." Im Jahr 2011 wurde die Wiener Kaffeehauskultur mit dieser Begründung von der UNESCO in das Verzeichnis des immateriellen Weltkulturerbes aufgenommen. Obwohl etliche traditionsreiche Kaffeehäuser in der letzten Dekade ihre Pforten geschlossen haben, gibt es in Wien nach wie vor 130 Kaffeehäuser, die den oben genannten Kriterien entsprechen.
1685 ist das erste Kaffeehaus in Wien gegründet worden, nachdem die gerösteten exotischen Bohnen zwei Jahre zuvor im Zeltlager der fliehenden Osmanen gefunden wurden. In der Folge entwickelte sich das Kaffeehaus als sozialer Raum der Begegnung unterschiedlicher Klassen und Kulturen, der ab Mitte des 19. Jahrhunderts - als auch Frauen Kaffeehäuser besuchen und "Kaffeekränzchen" abhalten durften - einen ersten Höhepunkt erreichte. Das "schwarze Gold" in vielen Varianten zubereitet, Rauchwaren, Billard, Karten- und Brettspiele, eine Vielzahl auch internationaler Zeitungen - zusehends wurde das Kaffeehaus nicht nur ein Ort urbaner Unterhaltung, sondern vor allem auch ein Ort des intellektuellen Diskurses und der politischen und künstlerischen Auseinandersetzung. Die grandiosen Innovationen und Leistungen des Wiener Fin de Siècle - von der Literatur, der Malerei über die Architektur, Medizin und Psychotherapie bis hin zu der Erkenntnisphilosophie - wären ohne die alltäglich stattfindenden Begegnungen im Kaffeehaus undenkbar gewesen.
"Eine derartige Vielfalt von Sorten und Zubereitungen, wie sie in Wien kredenzt und zelebriert werden, wird man auf der ganzen Welt nicht finden", ist in einem dieser Tage erscheinenden opulenten Buch zu lesen, das die Wiener Kaffeehauskultur mit originellen humoristisch-ironischen Texten und kunstvollen Schwarz-Weiß-Fotografien feiert: "Café de Vienne. Eine Wunderkammer des Geistes" von dem Schriftsteller Gregor Auenhammer und dem Triestiner Fotografen Robert Sackl-Kahr Sagostin ist eine feuilletonistische und visuelle Spurensuche nach den Geheimnissen jener magischen Orte, an der Zeit zuweilen stillzustehen scheint, bzw. Neues aus Altem entsteht. Denn an vielen Ecken der Stadt lebt die Kaffeehauskultur neu auf - verbindet soziale und kulinarische Transformationen. Wie die traditionelle Wiener Kaffeehauskultur über die ganze Welt gewandert ist - in New York gleichermaßen beheimatet ist wie in Istanbul oder Singapur - so haben auch internationale Einflüsse das Kaffeeangebot in Wien bereichert.
Die Kaffeehauskultur ist auch mit Klischees über Wien und die Wiener eng verknüpft. Ob das Kaffeehaus etwas mit dem bemerkenswerten Umstand zu tun hat, dass Wien als die lebenswerteste, aber auch unfreundlichste Stadt der Welt gilt - darauf wird in dem Prachtband "Café de Vienne" ebenso eingegangen wie auf die Tatsache, dass die in den Exkrementen einer balinesischen Baumkatze ausgeschiedenen Kaffeebohnen das begehrteste "schwarze Gold" der Welt darstellen. Und schließlich bleibt auch noch zu klären, warum Kaffee mit Preissteigerungen von bis zu 158 Prozent seit dem Jahr 2021 zu einem Luxusgut erster Güte zu werden droht.
Gregor Auenhammer ist zu Gast bei Andreas Obrecht und unsere Hörerinnen und Hörer sind wie immer herzlich eingeladen, sich an der Sendung zu beteiligen:
Was bedeutet für Sie ein Besuch in einem Wiener Kaffeehaus? Ist ein Start in den Tag ohne Kaffeegenuss für Sie überhaupt denkbar? Sollen gegen das "Kaffeehaus-Sterben" entschlossene Maßnahmen, auch von Seiten der Politik ergriffen werden? Wie hängt der Wiener Grant mit der sprichwörtlichen Wiener Gemütlichkeit zusammen?
Wie immer freut sich die Redaktion über Ihre Teilnahme an dem Gespräch unter 0800 22 69 79 während der Sendung oder unter punkteins(at)orf.at
Service
Buch:
Gregor Auenhammer, Robert W. Sackl-Kahr Sagostin (2025): Café de Vienne. Eine Wunderkammer des Geistes. Verlag Bibliothek der Provinz. Weitra. ISBN: 978-3-99126-368-5
Öffentliche Präsentation des Buches in der VHS Urania, Mittlerer Saal, am Sonntag 5. Oktober 2025 um 11:00 Uhr (Uraniastraße 1, 1010 Wien)
Sendereihe
Gestaltung
- Andreas Obrecht