Herbstliche Äste

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Punkt eins

Klassisches "leben und sterben lernen"

Eine Kultur der Sorge: Ein Forschungsprojekt zu Praktischer Philosophie im Care-Alltag. Gast: Dr. Patrick Schuchter, promovierter Philosoph, diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger, Gesundheitswissenschaftler, Hochschule Campus Wien, Zentrum für Angewandte Pflegeforschung und Zentrum für Interdisziplinäre Alterns- und Care-Forschung (CIRAC) der Universität Graz. Moderation: Barbara Zeithammer. Anrufe 0800 22 69 79 | punkteins(at)orf.at

Die Pensionierung, eine Erkrankung, ein Pflegefall in der Familie oder ein Todesfall: In Grenzsituationen unseres Lebens stellen sich oft grundlegende Fragen des Menschseins. Brauchen diese Fragen Antworten, Therapien oder ein offenes Ohr? Ab Freitag rückt eine wissenschaftliche Tagung in Graz die Praktische Philosophie und den Begriff der Sorge in den Fokus, als "Einüben in ein gutes Leben und Sterben".

Was ist ein gutes Leben? Wie geht es weiter? Was bedeutet Hilfe anzunehmen? Was heißt lieben und hoffen, verzeihen und bereuen? "Die Menschheit hat sich zu diesen Fragen schon immer Gedanken gemacht", sagt der promovierte Philosoph und diplomierte Krankenpfleger Patrick Schuchter. "Sorge-Beziehungen in Medizin und Pflege sind geprägt von existenzieller Auseinandersetzung mit entscheidenden Fragen des Menschseins." Doch was passiert mit diesen Fragen?

"Mich hat es immer zu jenen Weisen des Philosophierens hingezogen, deren Anspruch es ist, die tägliche Erfahrungswelt zu erhellen, die Welt aus der Lebenspraxis heraus tiefer zu verstehen und eben, leben und sterben zu lernen'", erklärt Patrick Schuchter und machte sich vor bald zehn Jahren auf die Suche nach dem Beitrag der antiken Philosophie für die gegenwärtigen Herausforderungen im Care-Alltag von Medizin und Pflege. Antworten liefert er in seinem Buch "Sich einen Begriff vom Leiden Anderer machen", in dem er "eine Praktische Philosophie der Sorge" entwickelt. Sein Ansatz ist die Philosophischen Praxis, die Philosophie als Lebenspraxis und Gesprächsform möglichst vielen Menschen zugänglich machen will.

Was das in der Praxis des Care-Alltags bedeuten könnte, welche Rolle philosophische Reflexion in der Entwicklung von Sorgekultur und Sterbewissen dort spielen kann, erforscht Patrick Schuchter in dem FWF-geförderten Forschungsprojekt "Philosophische Praxis in Palliative Care und Hospizarbeit" am Zentrum für Interdisziplinäre Alterns- und Care-Forschung (CIRAC) an der Universität Graz, seit September in Kooperation mit der Hochschule Campus Wien, gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen. Erste Ergebnisse werden von 10. bis 12. Oktober bei einer Tagung an der Uni Graz unter dem Titel "Begegnungen in Grenzsituationen. Philosophische Praxis und Palliative Care im Dialog" präsentiert, wo Menschen aus Pflege, Medizin, sozialer Arbeit und der ehrenamtlichen Demenz-, Sterbe- und Trauerbegleitung mit Forschenden zusammentreffen.

Der Begriff der Sorge - jenes bange Gefühl, in dem Leiden anklingt; jene fordernde Tätigkeit, die schwer zu tragen sein kann - ist für Patrick Schuchter auf vielen Ebenen zentral, bringt die Sorge doch "den Menschen in eine Haltung des Fragens, des Ringens um ein Verständnis von sich selbst. Sie entspringt nicht nur dem Leiden und der Endlichkeit, sondern sucht nach einer Antwort auf das Rätsel der Existenz. In der Sorge gerät der Mensch in eine bewusste Beziehung zum Leben, betroffen von dem, was auf dem Spiel steht." Bei der Sorge um sich selbst oder um den anderen macht er nicht halt; in mehreren Forschungsprojekten befasst er sich mit dem Konzept der Caring Communities, der Sorgenden Gemeinschaften.

Was verbinden Sie mit dem Begriff der Sorge? Welcher Art sind Ihre Sorge-Beziehungen? Welche grundlegenden Fragen haben Sie sich im Leben schon gestellt? Haben solche Fragen Platz in Ihrem Sorge-Alltag, in Pflege-Situationen? Was kann ein Gespräch für die seelische Gesundheit beitragen und kann man "Leben und Sterben lernen"? Was wünschen Sie sich in Bezug auf eine "Kultur der Sorge" und eine Sorgende Gemeinschaft?

Als Gast bei Barbara Zeithammer lädt Patrick Schuchter mit neuesten Forschungsergebnissen zum Praktischen Philosophieren ein und wie immer freut sich die Redaktion über Ihre Teilnahme an dem Gespräch unter 0800 22 69 79 (kostenfrei innerhalb von Österreich) oder per E-Mail an punkteins(at)orf.at

Service

"Philosophische Praxis in Palliative Care und Hospizarbeit", das der Österreichische Wissenschaftsfonds FWF fördert: https://cirac.uni-graz.at/de/unsere-forschung/aktuelle-forschungsprojekte/philosophische-praxis-in-palliative-care-und-hospizarbeit/
Nähere Infos auf der Website: https://hospizphilosophie.uni-graz.at/de/begegnungen-in-grenzsituationen/

Patrick Schuchter, Klaus Wegleitner: Handbuch Caring Communities - Sorgenetze stärken - Solidarität leben. herausgegeben. 2021

Patrick Schuchter: Sich einen Begriff vom Leiden Anderer machen: Eine Praktische Philosophie der Sorge. (Bioethik / Medizinethik, 2). Bielefeld: transcript Verlag. 2016

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