Care-Arbeit

14. Oktober 2025, 06:57

Vor mir hängt ein Bild aus dem frühen 16. Jahrhundert, das mich nicht mehr loslässt: Maria in einem blaugrauen Kleid mit durchsichtigem Schleier, wie sie behutsam das schlafende Jesuskind in die Wiege legt. Neben der Wiege steht ein Wäschekorb, auf dem eine halb geöffnete Bibel liegt, deren Ankündigungen sich im neugeborenen Kind erfüllen, wie es darin heißt.

Ein kleines Detail auf dem Bild zieht meinen Blick sofort in den Bann: Links im Hintergrund sitzt Josef, der alte Nährvater, und trocknet am offenen Kamin die Windeln. Dass ein Mann auf einem Bild aus dieser Zeit aktiv Hausarbeit verrichtet, ist mehr als überraschend.

Dieses Gemälde, eine Leihgabe aus Stift Heiligenkreuz für unsere Schau "Alles in Arbeit", fasziniert mich. Als berufstätige Mutter zweier erwachsener Kinder, mit einem beruflich ebenfalls stark eingespannten Mann, hat mich die Balance zwischen Familie und Beruf - wie viele - immer beschäftigt. Obwohl ich das Glück habe, einen Partner zu haben, der sich im Haushalt sehr engagiert, hat sich global gesehen leider noch immer zu wenig geändert: Care-Arbeit wird vor allem von Frauen geleistet - oft unsichtbar und ungleich verteilt.

Kunst fasziniert, weil sie solche Themen subversiv aufgreift, Rollenbilder hinterfragt und Gegenbilder entwirft. Oft schleicht sie sich in die Geschichte, um zu zeigen, was sonst übersehen wird, und lädt dazu ein, genauer hinzusehen. Dieses Bild von der Heiligen Familie erzählt leise von der Arbeit, die kaum wahrgenommen wird, die aber die Welt zusammenhält. Kunst kann solche verborgenen Wirklichkeiten sichtbar machen. Sie berührt, prägt - und eröffnet die Möglichkeit, das Leben mitzugestalten.

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