Lebensatem

28. Oktober 2025, 06:57

Wenn dann im Frühling die Birken blühen, alles aufbricht, bricht bei mir alles ab. Die Pollenallergie schnürt mir den Atem ab, ich bekomme kaum Luft. Da merke ich wie wichtig das Atmen ist fürs Lebendigsein.

Auch bei einem Baby warten ja alle auf den ersten Atemzug, den ersten Schrei. Damit beginnt das auf der Welt sein für diesen neuen Erdenbürger, die Erdenbürgerin. Ein Mensch atmet rund 13.000 Liter Luft am Tag ein und aus. Wir brauchen die Luft zum Atmen wie einen Bissen Brot.

Atmen ist Entfaltung, Atmen ist Leben. Umso schlimmer, wenn Dir die Luft abgeschnürt wird. Aber nicht nur eine Allergie raubt den Atem, die Luft wird knapp, wenn Menschen gedemütigt und blöd angeredet werden, wenn Angst und autoritäre Verhältnisse den Alltag bestimmen, wenn Vielfalt nicht erlaubt wird, nur Einfalt. Das kann Menschen die Luft zum Atmen nehmen.

Wenn dicke Luft herrscht, heißt es die Fenster aufzumachen. Im Krankenhaus habe ich gesehen, wie eine Pflegerin die Fenster im Zimmer öffnet. "Immer in der Früh mach ich das Fenster auf - durchlüften, ein neuer Tag beginnt", sagt sie.

Eine therapeutische Sitzung im Zentrum für schwer Traumatisierte. Mitten im Gespräch, einfach so, geht der Therapeut zum Fenster und öffnet es. Es ist, als müsste etwas hinaus, das zu lange drinnen war, etwas anderes herein, um in Bewegung zu kommen.

Nach dem letzten Atemzug, am Totenbett der Großmutter, macht der Sohn das Fenster auf. Ein Lufthauch weht durchs Zimmer. Es wird kurz etwas leichter. Ein erstes Loslassen, Gehenlassen?

Wenn Worte zu schwer werden, und Sprechen zu bedrohlich, wenn man also etwas braucht zwischen Sprechen und Schweigen, dann hilft Seufzen - ein tiefes Einatmen und ein hörbares Ausatmen. Das schafft Erleichterung. Beim Seufzen kann man sogar die Seele atmen hören.

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• Alexandra Mantler