Zwischenruf

Der Trauer Raum geben

von Sr. Karin Weiler, Theologin und Supervisorin

Allerheiligen/Allerseelen ist eine Zeit des Gedenkens an die Verstorbenen - eine Zeit, in der Menschen stärker oder erneut mit ihrer Trauer in Kontakt kommen. Ich denke in diesen Tagen z.B. an meine verstorbene Mutter und an andere Verstorbene, die mir wertvoll sind.

Der Verlust eines lieben Menschen kann das ganze Leben durcheinanderbringen: Emotionen, Fragen der Beziehung, des Glaubens, der Zukunft. Wie kann ich überhaupt weiterleben ohne den lieben Verstorbenen? Angehörige, Freunde, Kolleg:innen spüren Betroffenheit und Sprachlosigkeit. Nicht immer geht es darum, wie nah man mit jemandem verwandt war oder wie oft man einander gesehen hat…

Was tun, wenn jemand in meinem persönlichen Umfeld trauert? Mich zurückziehen? Weil ich nicht weiß, was ich sagen soll? Weil ich den großen Schmerz spüre und fürchte, ihm nicht gerecht zu werden? Nicht auf jemand zugehen, weil ich Angst habe, dass die Person weint, wenn ich sie an den Verlust erinnere. Ich will sie also vor ihrer Trauer beschützen, die sie ohnehin spürt. Lieber ausweichen, damit es nicht peinlich wird?

Tatsächlich leiden viele Menschen in Trauer darunter, dass sich Freunde und Bekannte zurückziehen. Ohne Worte möchte man ungern dastehen, also greifen manche zu Floskeln, die für trauernde Menschen ebenso verletzend oder missverständlich sein können. "Du musst jetzt stark sein" "Auch das wird vorübergehen" oder "Die Zeit heilt viele Wunden", als wäre die Trauer etwas, was man so schnell wie möglich hinter sich bringen sollte. Die Forschung belegt das Gegenteil: Trauer braucht ihre Zeit!

Menschen sind unterschiedlich und nicht allen hilft dasselbe. Ich bin überzeugt: Jeder Mensch kann ein Begleiter, eine Begleiterin in der Trauer sein. Oft helfen ganz einfache Dinge wie Halt geben, da sein, Struktur geben. Etwas einfaches wie eine Suppe kochen, für jemanden einkaufen gehen, kann hilfreich sein. Es ist gut, aktiv auf Trauernde zuzugehen, nicht zu warten, bis sie sich melden und um Unterstützung bitten. Gleichzeitig zu akzeptieren, wenn jemand nicht sprechen will. Oder das ehrliche Eingeständnis: "Ich weiß nicht, was ich sagen soll, aber ich bin da."

Ich erinnere mich an das Begräbnis meiner Mutter: Eine Mitschwester aus meiner Gemeinschaft hat organisiert, dass für meine gehbehinderte Großmutter - die ja ihre Tochter zu Grabe tragen musste - ein Rollstuhl da war. Das war wohl die aufmerksamste Hilfe an diesem Tag. Die Kollegin, die mir eine Karte geschrieben hat: "Du hast mir von deiner Mutter erzählt. Drei ihrer Eigenschaften kann ich auch an dir wahrnehmen." Wie liebevoll und tröstlich. Schließlich die Nachbarin, die mich zum Essen eingeladen hat, obwohl ich mehrmals abgelehnt hab und die wieder gefragt hat, bis es auch für mich gepasst hat.

Sie haben sich nicht vor meiner Trauer gefürchtet. Alle haben mich spüren lassen, dass meine Trauer sein darf. Denn, wie die Trauerbegleiterin Chris Paul sagt: Trauer ist die Lösung, nicht das Problem.

Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Johann Sebastian Bach
Titel: Suite für Violoncello Nr.3 in C-Dur BWV 1009
* Prelude - 1.Satz (00:03:03)
Cellosuite
Solist/Solistin: Thomas Demenga /Violoncello
Länge: 03:09 min
Label: ECM 1391 839617-2

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