Meister der Abschweifung

10. November 2025, 06:57

Dieser Tage jährt sich zum 200. Mal der Todestag eines Dichters, der einst der Lieblingsdichter der Deutschen war. Die Rede ist von Johann Paul Friedrich Richter, besser bekannt als Jean Paul.

Vor fünfzig Jahren haben sich noch Heerscharen von Germanisten an ihm abgearbeitet. Jean Paul als Revolutionär, Jean Paul als Vorläufer der Surrealisten, als Begründer der Postmoderne, als Deutschnationaler, als Tiertrinker, Bierfreund, nein umgekehrt.

Jean Paul ist genial und Kult, aber mittlerweile ein ungelesener Klassiker. Er gilt als Worterfinder, dabei hat er meist lediglich Komposita gebildet. Die ihm zugeschriebenen "Gänsefüßchen" waren bei Druckern längst gang und gäbe. Den "Weltschmerz" hat er nur zusammengefügt, und das Gelbe vom Ei wurde bei ihm zu "Eigelb", das Glibberige zu "Eiweiß", zum Glück aller Köche nicht zu Eiglibber.

Jean Paul hat wie kein anderer zuvor sein Leben radikal dem Schreiben gewidmet. Bereits als Jugendlicher begann er, alles Gelesene zu exzerpieren, um ein privates Nachschlagewerk zu haben, wobei ihn vor allem das Absonderliche interessiert hat. Zum Beispiel den achtbeinigen Hasen, der in der Katzenbergerschen Badereise vorkommt - wird das Tier müde, wirft es sich einfach auf den Rücken und läuft mit den oberen vier Beinen weiter. Jean Paul destillierte alles Wissen seiner Zeit, was ihn zu einem Vorläufer von Wikipedia macht. Er ist lehrreich, witzig, romantisch. Trotzdem wird er kaum mehr gelesen. Man möchte auch ihn auf den Rücken werfen, damit er mit den dort gewachsenen Beinen einfach weiterläuft.

Irgendetwas muss dran sein an ihm, der von Gustav Mahler, Paul Celan, Arno Schmidt und vielen, vielen anderen leidenschaftlichst verehrt worden ist. Aber kaum jemand mag sich noch auf sein ausgelassenes Werk einlassen, was vielleicht mehr über unsere unverlässliche, unpässliche, für komplexe Gedanken nicht mehr zugängliche Zeit aussagt als über Jean Paul.

Service

Franzobel, "Hoppelpoppel oder Jean Pauls Zauberland. Eine Schauspielrevue", Edition Melos

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• Alexandra Mantler