Sound Art: Kunst zum Hören
Nacht - Premiere: Marillenmassaker von Caroline Hofer
Kurzes Innehalten im Alltag
27. November 2025, 23:03
Das Gehen ist der Rahmen, in dem das Stück "Marillenmassaker" eingebettet ist. Während das institutionalisierte Gehen in den letzten Jahren zum Trend geworden ist, Stichwort Jakobsweg, passiert der Protagonistin Nives dieses Gehen - auf das im Stück auch immer wieder Bezug genommen wird - durch einen Unfall in ihrem Alltag: Sie stürzt nach einem plötzlichen Break-up in ein Baubodenloch und findet sich im Kanalsystem der Stadt wieder.
Während sie sich an diese neue Situation anpasst, also dem Kanal folgt, begleiten sie Unterhaltungen mit ihrem Großvater (als Rückblenden), Erlebnisse mit und Nachrichten von ihrer im Ausland lebenden Freundin Juno (einer Fahrradbotin und Lebenskünstlerin) sowie die Interaktion mit der Erzählerin, mit der sie auch aktuelle, gesellschaftsrelevante Themen anspricht. Im Laufe der Handlung ergeben sich zudem surreale Momente und Raumwechsel, etwa Junos Erlebnis mit einem Bekannten, einem Künstler, von dessen Vernissage sie Nives zuvor bereits erzählt hatte. Über Nives Leben erfährt die Hörerin ein paar Einzelheiten, etwa dass sie Kinder hat, die ihr sehr viel abverlangen und dass sie aus dem Stadtzentrum stammt, in dessen Umkreis die Handlung stattfindet. Nives empfindet ihr Leben als unspektakulär und stellt es "Inszenierungen" auf Social-Media-Plattformen gegenüber. Sie thematisiert darüber hinaus auch die gesellschaftliche Rolle der Frau. Mit Juno verbindet Nives eine enge Freundschaft, dennoch stellt sich am Ende heraus - nachdem sie aus dem Kanalsystem wieder aufgetaucht ist und plötzlich Juno vor sich stehen sieht - dass Juno ihren Walk digital "verkauft" hat, um sich selbst daran medial zu bereichern. Nives nimmt diesen "Verrat" sehr gefasst auf und möchte zu ihren Kindern zurück, was darauf hindeutet, dass sie in ihrem Leben vielem, das ihr widerfährt, sehr gleichgültig und abgebrüht gegenübersteht.
Bei Marillenmassaker handelt es sich um einen Ausschnitt aus "dem Fluss des Lebens" einer Person (einer Frau) - in einer Zeitspanne von ein paar Tagen, Wochen. Es geht Caroline Hofer bei dem Stück einerseits um das kurze Innehalten im Alltag, andererseits um das Immer-weiter-machen, um das Getrieben-sein, um die Überforderung durch Neue Medien, um die Erwartungen der Gesellschaft an Frauen und das Eigene-Bedürfnisse-stillen.
"Marillenmassaker". Von Caroline Hofer. Mit Swintha Gersthofer, Naemi Latzer, Daniela Golpashin, Christian Erdt, Klaus Höring, Martina Spitzer und Babett Arens. Tongestaltung: Anna Kuncio und Manuel Radinger, Autorin und Regie: Caroline Hofer, Komposition: Florian Kmet (ORF 2025)