APA/DPA/FRANK RUMPENHORST
Betrifft: Geschichte
Wiederholt sich die Geschichte?
Gewünscht: Geschichte (5). Historiker:innen beantworten Fragen von Schüler:innen. Fragen von: Belinda, Elisabeth und Naima aus Graz und Elli aus Wien. Antwort von: Oliver Rathkolb, Zeithistoriker.
2. Jänner 2026, 15:55
In den beiden Ferienwochen beantworten Expertinnen und Experten aus den historischen Disziplinen Fragen, die uns Schüler und Schülerinnen geschickt haben. Elisabeth, Belinda und Naima aus der 8B des Privatgymnasiums Sacré Coeur Graz möchten wissen: "Inwiefern lassen sich Parallelen/Vergleiche zwischen der Gegenwart und der Radikalisierung der Zwischenkriegszeit ziehen?" Und Elli aus der 7B am Gymnasium Geblergasse in Wien fragt: "Inwiefern ist die Aussage, dass sich die Geschichte immer wieder wiederholt, zutreffend?" - Antworten auf diese Fragen gibt der Zeithistoriker Oliver Rathkolb, er war bis 2024 Professor für Neuere Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der Zeitgeschichte an der Universität Wien.
In den Krisen der vergangenen Jahre haben sich viele an die Zwischenkriegszeit erinnert gefühlt. Wirtschaftskrise, hohe Arbeitslosigkeit, eine große Gruppe von Modernisierungs-Verlierern oder Abgehängten - und keine zufriedenstellenden politischen Lösungen. Das war die Situation in den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts, und ganz ähnlich beobachten wir es auch heute. Zukunftsängste und Perspektivenmangel machen mehr Menschen anfällig für radikales, antidemokratisches, nationalistisches Gedankengut. Auch das lässt sich in der Gegenwart wieder beobachten.
Sind wir also zur Wiederholung der Geschichte verdammt? Zum Glück nicht. Gerade wegen der Erfahrungen der Zwischenkriegszeit wurde in Europa seither ein umfangreiches Sozialnetz geschaffen, soziale Gerechtigkeit ist ein erklärtes Ziel der Politik und verhindert eine noch stärkere Spaltung und Radikalisierung. Unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs begab sich Europa auf den Pfad der Einigung unter den Vorzeichen von Demokratie, Frieden und Menschenrechten. Auch die Institutionen der Demokratie sind gefestigter: Die Justiz steht heute in aller Regel selbstbewusst auf der Seite der Demokratie und setzt alles daran, antidemokratische politische Strömungen in Schach zu halten, was man vor 100 Jahren so nicht sagen konnte. Deswegen sind übrigens auch die obersten Gerichtshöfe vielen autoritären Politikern so ein Dorn im Auge. Dasselbe gilt auch für unabhängige Medien.
Können wir uns also in Sicherheit wiegen? Leider auch nicht: Wie wir vielerorts gerade beobachten können, ist es auch für scheinbar gefestigte Demokratien sehr wohl möglich, wieder in genau die Muster zu verfallen, die wir seit Jahrzehnten überwunden glaubten. Lehren aus der Geschichte stellen sich nicht von selbst ein, und sie bleiben nicht einfach für immer erhalten. Demokratie muss täglich gelebt und verteidigt werden. Aber Geschichtswissen kann uns dabei eine Orientierung bieten. Kritische Beschäftigung mit der Geschichte kann helfen, Phänomene einzuordnen, bedenkliche Muster und Entwicklungen rechtzeitig zu erkennen - und so manchem Politiker, der eine "Rückkehr" in bessere Zeiten verspricht, etwas entgegenzusetzen.
Service
Sendereihe
Gestaltung
- Xaver Forthuber
