Sound Art: Zeit-Ton
Das Album "Spomyn" von Katarina Gryvul
Flüchtige Erinnerungen im Schatten des Krieges
24. Februar 2026, 23:03
Für das ORF musikprotokoll im steirischen herbst 2022 schuf Katarina Gryvul ihr erstes Stück nach dem Ausbruch des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, der heute vor vier Jahren begann. Der Schock saß so tief, dass Gryvul die ersten fünf Monate gar nichts komponieren konnte. "Ich hatte Angst, dass dieser Schock, den der Krieg bei mir ausgelöst hatte, auch von meiner Musik Besitz ergreift", erzählte sie damals in einem Zeit-Ton Interview, "dass meine Musik vollends vom Krieg durchdrungen ist, von diesem Gefühl des Zorns, der Abscheu und der Angst; dass der Krieg letztendlich auch das zerstört, was ich am meisten liebe." In diesen ersten Kriegsmonaten wurde Gryvul immer wieder von nächtlichen Panikattacken heimgesucht. Um sich zu erden, begann die Künstlerin ihren durch die Panik beschleunigten Atem aufzunehmen. Diese Aufnahmen bildeten schließlich das musikalische Ausgangsmaterial für ihr elektroakustisches Stück "Zemlya". In noch heller Erinnerung ist die beklemmende Stimmung, die sich während der Uraufführung im Grazer Dom ausbreitete.
Auch die Musik auf Katarina Gryvuls aktuellem Album "Spomyn" geht unter die Haut. "Spomyn" ist das ukrainische Wort für Erinnerung. Es sind im Kern die Erinnerungen, die unsere Identität formen. "Jedes Stück ist ein Fragment", schreibt Gryvul in einem begleitenden Text, "ein Aufflackern von etwas Verlorenem, verzerrt, oder vergessen - zum Leben erweckt durch ein unvermitteltes Gefühl, jene Kontinuität anrufend, die uns mit jenen verbindet, die vor uns da waren, mit dem flüchtigen Moment ihrer Existenz, der noch immer in uns nachhallt, der ein Teil jenes Netzes wurde, das unser eigenes Selbst bildet." Auch Katharina Gryvul hat in den vergangenen vier Jahren ihr sehr nahe stehende Menschen verloren, die sie nun schmerzlich vermisst.
