Weh dem, der lügt - Teil 4

"Mancher meinte zu lügen"

"Mancher meinte zu lügen und traf da erst die Wahrheit", heißt es im Nachlass von Friedrich Nietzsche. Und Oliver Hasenkamp, der Begründer des Online-Staates Ozeania meinte: "Aus den Lügen, die wir glauben, werden die Wahrheiten, mit denen wir leben".

Die Lüge hat viele Facetten und zeigt sich in vielen Gewändern, mehr oder weniger verhüllt, in guter oder in böser Absicht angelegt. Doch Lügen und Täuschen ist nicht ein dem homo sapiens vorbehaltenes Prinzip, auch die Natur ist davon durchwoben. Die Lüge ist unter anderem ein probates Hilfsmittel, bei ungleicher Verteilung der Kräfte das Gleichgewicht zu Gunsten des Schwächeren zu verschieben.

Es ist uns Menschen vor allem durch den Sprechakt, durch die Fähigkeit der verbalen Artikulation gegeben, den anderen zu belügen und zu täuschen. So meinte denn auch schon der französische Denker und Staatsmann Talleyrand, dass "die Sprache dem Menschen gegeben wurde, damit er seine Gedanken verhüllen könne."

Misstrauen gegen das gesprochene Wort
Gelogen und getäuscht werde aber nicht nur in Worten, verweist die Mediensoziologin Eva Flicker auf ihr Fachgebiet und darauf, dass die Menschen dem gesprochenen Wort vielmehr Misstrauen entgegen bringen als etwa Bildern.

Dabei greife die Visualisierung um sich und es würden, so Eva Flicker, in einem fort "unwahre" Wirklichkeiten durch Bilder konstruiert, die wir vielfach unhinterfragt als "wahr" hinnehmen.

Lügen im Geschäftsleben

Wo man nicht ohne Lügen auskäme, das sei das Geschäftsleben, sagt der Konfliktforscher Gerhard Schwarz. Und das sei nicht erst in der heutige Zeit so. So lesen wir schon in den griechischen Sagen darüber, dass die Götter Hermes (er war der Gott der Kaufleute und der Diebe) ein bisschen flunkern bei der Abwicklung seiner Geschäfte erlaubt haben, weil sie einsahen, dass sich Geschäfte nur sehr schwer machen ließen, wenn man immer bei der vollen Wahrheit blieb.

Hermes wurde zwar nicht explizit zugestanden, lügen zu dürfen, aber es wurde ihm eingeräumt, nicht immer alles sagen zu müssen. Ein Produkt um das Zehnfache seines wahren Wertes (des Gestehungswertes) zu verkaufen, weil es einen entsprechenden Marktwert habe, das sei eigentlich eine Lüge, sagt Gerhard Schwarz - die Marktwirtschaft basiere auf Lüge.

Verlogene Leistungs- und Konkurrenzgesellschaft

Die Frage, ob die heutige Gesellschaft verlogener sei als frühere, sei nicht einfach zu beantworten, meint der Philosoph Peter Kampits. Aber es deute einiges darauf hin, weil "die uns heute vorgegaukelten Mythen und Ideale eine größere Rolle spielen als in früheren Gesellschaften und weil das Konkurrenzdenken, immer besser als der Andere sein müssen, eine starke Verführung zur Lüge enthält".

Um im Konkurrenzkampf bestehen zu können, sei es sicher notwendig, sich besonders positiv darzustellen, sagt die Sozialpsychologin Helga Elisabeth Schachinger. Wenn man dieses "überdehne", bestehe die Gefahr, dass die zwischenmenschlichen Beziehungen auf der Strecke bleiben.

Lügen und Täuschen

Wenngleich selbst der Philosoph und Kirchenvater Augustinus bereits erkannte, dass Lüge und Täuschung eine Möglichkeit und Chance in der Beziehungsgestaltung sein könne, die - sofern sie anderen nicht schaden - auch zu Selbsteinsicht führen können, so ist auf der anderen Seite nicht außer Acht zu lassen, dass aus vielen kleinen "verzeihlichen" Lügen eine Grundhaltung der Unehrlichkeit erwachsen kann, sodass ich mir und anderen gegenüber unglaubwürdig werde, was einem gedeihlichen Miteinander sehr abträglich sein kann.

Wo beginnt die verwerfliche Lüge?
"So werden die barmherzige Lüge des Arztes, die Komplimente des Ehemannes und die Lobhudeleien der Untergeordneten als etwas Harmloses abgetan und moralisch sanktioniert. Wo jedoch die 'große', verwerfliche Lüge beginnt, darüber bekommen wir selten eine eindeutige Antwort", schreibt Peter Stiegnitz in seinem Buch "Die Lüge - Das Salz des Lebens".

Wo die große verwerfliche Lüge beginnt, das muss so gesehen jede und jeder Einzelne eigenverantwortlich für sich festlegen - was jedoch nur möglich ist, wenn man vom Flunkern nicht in ein "automatisches" Lügen hineinschlittert, sodass es einem gar nicht mehr bewusst wird, eigentlich gelogen zu haben. Und lügen soll man prinzipiell nicht - um mit dem Soziologen Roland Girtler zu schließen - wenn man damit sich oder anderen Schaden zufügt.

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Radiokolleg, Montag, 23. April bis Donnerstag 26. April 2007, 9:05 Uhr