Der russische Underground-Künstler Dmitrij Prigow
"Ich bin Prigow! Prigow!"
Der Schriftsteller und Künstler Dmitrij Alexandrowitsch Prigow wird der "König des Moskauer Undergrounds" genant. Er gilt als "Patriarch des Moskauer Konzeptualismus" und hat weit mehr als 25.000 Gedichte geschrieben.
8. April 2017, 21:58
Prigow ist fast alles: Schriftsteller, Performance-Künstler, Soz-Artist (eine Mixtur aus Sozialistischem Realismus und Pop-Art), Zeichner. Vor allem ist der "Patriarch des Moskauer Konzeptualismus" ein Maximalist: Er hat mehr als 25.000 Gedichten geschrieben und etliche Tausend Lesungen absolviert.
Prigow ist aber auch Purist. Auf seiner Website findet man in der Rubrik "Biografie" nur das Geburtsdatum: 5. November 1940, zusätzlich aufgelistet etliche Dutzend Ausstellungen zwischen Nowosibirsk, Melbourne und Los Angeles.
Prigow ist einer der wenigen russischen Künstler, die es vor und nach dem Ende der Sowjetunion gab. Kunst und Macht ist eines seiner Dauerthemen.
Die Sowjetunion in Gedichtform
Worum es in der (sowjetischen) Kunst eigentlich ging, hat Prigow, der in der Zeit von Chruschtschows Tauwetter, in der "vegetarischen Phase des Kommunismus" am Moskauer Stroganow-Instut zum Bildhauer ausgebildet wurde, rasch erfahren: Nur seine allerblödesten Skulpturen durften in Kindergärten oder auf Kinderspielplätzen aufgestellt werden. Die bildhauerische Arbeit am Sozialismus verwandelte sich in den 1970er Jahren in das monumentalen Projekt, eine Bestandsaufnahme alles Sowjetischen in Gedichtform zu machen - die besagten 25- bis 26.000 Texte.
Dichter waren damals ohnedies so etwas wie Pop-Stars - und Prigow schriebe über alles: über Küchenschaben, Milizionäre, über Catull und Ragan, sämtliche Zentralsekretäre der KPDSU, über Hitler, Eva Braun bis zu Arnold Schwarzenegger, über alles, was politisch korrekt und inkorrekt war.
Geld und Macht
Der sowjetische Umgang mit Kunst - Zuckerbrot und Peitsche, Maulkorb und Privilegien - erlebt heute eine bizarre Wiederkehr: Wird im New Yorker Guggenheim so genannte Undergroundkunst gezeigt, reist natürlich Wladimir Putin zur Eröffnung an.
"Das Problem besteht darin, dass die Macht-Elite - und das ist in Russland zugleich die politische Elite - heute über außerordentlich viel Geld verfügt", meint Prigow. "Geld ist der einzige Bereich, in dem es Macht und Prestige gibt. Das Geld wird in den Westen verschoben, der Westen kommt auf dieser Ebene zu uns." All das dient der Errichtung einer Vertikale der Macht - und genau dagegen kämpft Dmitrij Prigow schon ein Leben lang an.
Puschkin und Prigow
Gegen die traditionelle Auffassung vom Dichter, der in Russland mehr als ein Dichter sein soll, rezitiert er ekstatische "Asbuki", "Alphabete", in deren Verlauf eine ganze Weltgeschichte an Berühmtheiten niedergemetzelt wird. Das Ganze in Begleitung von Jazz-Größen wie Mark Pekarski oder Tarassow. Übrig bleibt nur der letzte Buchstabe des russischen Alphabets: JA - Ich. Das ist natürlich Prigow.
"In der Literatur gibt es leider noch immer kein gutes Bewertungs-System, das dem in der Musik vergleichbar wäre", meint Prigow. "Man braucht verschiedene Kategorien wie 'Der beste Country-Sänger', 'der beste Rocksänger', 'der beste Pop'. Es geht ja schließlich darum, der Beste in seiner eigenen Kategorie zu sein und nicht darum, sich mit allen zu streiten, wer der beste Musiker überhaupt ist."
Von der radikal demokratischen, oder genauer gesagt markt-demokratischen parodistischen Kategorisierung sind nur zwei ausgenommen: Puschkin und natürlich Prigow selbst.
"Sag Russland"
Prigows Prosa ist eine durch apokalyptisches Understatement sich auszeichnende Beschreibung der Welt, in der man eigentlich nicht leben kann. Mit fröhlichem Sarkasmus versucht Prigow in einer seiner neuesten Performance einer Katze das Reden beizubringen. "Skaschi Rossija" - "Sag Russland" - wiederholt er immer wieder, als wäre dadurch Realität zu gewinnen. Die Katze sagt schließlich "miau".
Ohnedies gibt es für den Stachanowec, den Stachanow/Arbeiter der russischen Literatur nur eine Form zu überleben: durch Arbeit. Mittlerweile ist ein weiterer 600-seitiger Roman erschienen, "Renat und der Drachen", eine Geschichte der Unschuld und Monstrosen. In letzter Zeit hat er sich wieder vermehrt der bildenden Kunst zugewandt:
"Ich habe im Rahmen der Moskauer Kunstbiennale gerade an vier Ausstellungen teilgenommen", so Prigow. Auf einem der Bilder ist Prigow als leidender Christus zu sehen, mit grünem Glibber überschüttet. Seinen Vorschlag, in der staatlichen Tretjakow-Galerie alle russischen Realisten endgültig zu überhängen, hätte ihm aber wohl ein alter Bekannter nicht erlaubt: der Milizionär; die von Prigow vielfach bedichtete Figur des mythisch überhöhten Ordnungshüters zwischen Himmel und Erde. Und der ist in Russland nicht so leicht loszuwerden.
Auf seinem Posten steht der Milizionär
Bis weit nach Wnukowo lässt er die Blicke schweifen
Nach Westen und nach Osten blickt der Milizionär
Dahinter ist es nur noch wüst und leer
Doch auf die Mitte mit dem Milizionär
Eröffnet sich der Blick von allen Seiten
Von allen Seiten blickt man auf den Milizionär
Von Osten blickt man auf den Milizionär
Von Süden blickt man auf den Milizionär
Vom Meer her blickt man auf den Milizionär
Vom Himmel blickt man auf den Milizionär
Und aus der Erde auch... Denn er versteckt sich nicht
Hör-Tipp
Diagonal, Samstag, 7. April 2007, 17:05 Uhr
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Buch-Tipp
Dmitrij Alexandrowitsch Prigow, "Moskau-Japan und zurück", aus dem Russischen von Christiane Körner, Folio Verlag, ISBN 9783852563602
Links
Dmitrij Prigow (russisch)
Folio Verlag - Moskau-Japan und zurück