Zweite Chance für gestrandete Existenzen

Konzern hinter Gittern

Mit knapp 6.000 Beschäftigten zählen die Justizanstalten zu den größeren Arbeitgebern in Österreich. Menschen, die zuvor in Freiheit nie wirklich gearbeitet haben, setzen hinter Gittern jedes Jahr Millionen um.

Hinter den Gefängnismauern ist ein Mikrokosmos der österreichischen Volkswirtschaft entstanden, der auch das Phänomen Arbeitslosigkeit kennt. Mit einer Werbekampagne versucht die Justiz nun die Beschäftigung zu steigern und die Produktion anzukurbeln.

Beispiel Sonnberg
Es ist ruhig in der Justizanstalt Sonnberg im niederösterreichischen Weinviertel. Kein Maschinenlärm, keine laufenden Motoren stören das gute Dutzend Männer, das gerade die Gesellenprüfung zum Metallfacharbeiter ablegt.

Wegen der Prüfung ist es auch nicht möglich, einen Haftinsassen zu interviewen. Die Facharbeiterausbildung ist Teil der Unternehmenskultur hinter Gittern, erklärt Oberstleutnant Thomas Binder. Seit 1990 werden hier Schweißer und Stahlbauschlosser ausgebildet, sie erhalten nach einer 14-monatigen Ausbildungszeit einen ganz normalen Gesellenbrief.

Neue ökonomische Strukturen

Hinter den Gefängnismauern ist in den vergangenen Jahren ein Mikrokosmos der österreichischen Volkswirtschaft, eine besondere Unternehmenswelt mit eigenen Arbeitsverwaltungen, Tochtergesellschaften entstanden - ein "Konzern hinter Gittern" eben. In Sonnberg etwa werden Zwiebel und Knoblauch verkaufsfertig abgepackt.

Vier der 28 Justizanstalten sind nicht vom Finanzministerium abhängig, sie werden als so genannte Flexi-Anstalten geführt. Sonnberg gehört dazu. Anstaltsleiter Thomas Binder erklärt, dass diese Anstalten das erwirtschaftete Geld selber verwenden können und es nicht an das Finanzministerium abliefern müssen.

Arbeiten ist Pflicht
Mehr als eine halbe Million Euro haben die Gefangenen in Sonnberg in vier Jahren an Überschuss erwirtschaftet. Das Geld wird unter anderem in die Facharbeiterintensivausbildung investiert, 150.000 Euro sind das jedes Jahr.

Auch die anderen 27 Haftanstalten sind ähnlich unternehmerisch. Üblich ist ein Sechsstundentag mit einem Stundenlohn, der dem Metallhilfsarbeiter angepasst ist, Blaumachen gibt es hinter den Gefängnismauern nicht. Von der Arbeitspflicht sind nur Untersuchungshäftlinge ausgenommen.

Andreas Zembaty arbeitet in der Bewährungshilfe für den Verein Neustart. Die Arbeit im Gefängnis soll die Häftlinge an die geregelte Arbeitswelt draußen gewöhnen, sagt er.

Standortvorteile und Imagenachteile
Das große Plus der Produktion hinter den Gefängnismauern sind die niedrigen Lohnkosten. Der durchschnittliche Monatsverdienst der Gefangenen liegt bei 200 Euro, angepasst an den Kollektivvertrag der Metallhilfsarbeiter. Zusätzlich übernimmt der Insasse die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, damit er nach seiner Entlassung auch versichert ist.

15 Millionen Euro macht der "Konzern hinter Gittern" mit seinen bundesweit 28 Justizanstalten und 250 Eigenbetrieben Jahresumsatz. Er beschäftigt mehr als 6.000 Mitarbeiter.

Billigproduktion im Gefängnis ist für Klein- und Mittelbetriebe, die unter Kostendruck stehen, durchaus eine Alternative zur Produktionsverlagerung ins Ausland - wenn auch eine Alternative, zu der sich Betriebe nicht gerne bekennen. Zu groß ist die Angst vor einem Imageverlust. Produkte, gefertigt von Dieben, Mördern oder Vergewaltigern, diese Wahrheit wollen die meisten Unternehmen ihrer Kundschaft nicht offenbaren.

Eine Ausnahme ist die Wiener Firma Caretec. Sie verkauft Blindenhilfsmittel, etwa ein Gerät, das dem Benützer die Farbe eines bestimmten Gegenstandes, in diesem Fall einer Tasche, akustisch mitteilt. Caretec-Chef Dietmar Litschel hat kein Problem mit Häftlingsarbeit, er sieht das als soziales Engagement, das sich noch dazu durch niedrige Arbeitskosten auszahlt.

Unternehmerfreundliches Klima
Unternehmen treffen im Gefängnis auf Belegschaften mit immensen Defiziten. Die Produktivität ist niedrig. Mehr als 90 Prozent sind angelernte Hilfskräfte, Analphabeten, Drogenkranke. Dafür sind die Rahmenbedingungen sehr unternehmerfreundlich: Es gibt keine Lohnnebenkosten, keine Sozialversicherungsbeiträge, keine Gewerkschaft, keine unvorhersehbaren Kündigungen.

Arbeitslosigkeit hinter Gittern
Es herrscht ein Mangel an Aufträgen, wie die Volkswirtschaft draußen kämpft auch der "Konzern hinter Gittern" mit steigender Arbeitslosigkeit. Nur mehr zwei von drei Gefangenen können derzeit beschäftigt werden. Claudia Knopper ist die Marketingchefin des "Konzerns hinter Gittern", sie arbeitet für den Verein Neustart, und beklagt, dass immer weniger Häftlinge zur Arbeit eingesetzt werden können, weil der Anteil an Drogensüchtigen, Analphabeten, Ausländern, die nicht Deutsch verstehen, und Häftlingen, die überaggressiv sind, immer größer wird.

Wolfgang Gödl, Leiter der Stabstelle Strafvollzug im Justizministerium ergänzt: Die Zahl der Häftlinge ist in den letzten Jahren von 7.000 auf 9.000 gestiegen, die Zahl der Arbeits- und Ausbildungsplätze allerdings nicht.

Im heurigen Budget sind sechs Millionen Euro für Investitionen, unter anderem in Verbesserungen des betrieblichen Anlagevermögens, etwa für Maschinen reserviert - Geld, das sinnvoll investiert sei, sagt Gödl.

Angenehmer Nebeneffekt
Die Strafgefangenen finanzieren einen Teil ihrer Unterbringungs- und Versorgungskosten selbst. Der durchschnittliche Monatsverdienst der Gefangenen liegt bei 200 Euro. 75 Prozent vom Lohn werden für Kost und Quartier abgezogen, sowie die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, es bleibt rund 1 Euro je Stunde netto.

Ohne Gefangenenarbeit wären die vom Steuerzahler zu tragenden Kosten pro Haftplatz deutlich höher. Erklärtes Ziel der Justizverwaltung - festgeschrieben im Masterplan des Justizministeriums - ist eine jährliche Umsatzsteigerung von 20 Prozent.

Folgen der Ostöffnung
Das Beispiel Sonnberg zeigt, wie wichtig eine Imagekampagne ist. Die Justizanstalt liegt an der Grenze zu Tschechien. Die Auftragsfertigung ging mit der Ostöffnung zurück, trotz eines Stundenlohns von sieben Euro konnten die Gefangenen mit den Herstellungskosten in Tschechien nicht mehr mithalten.

Claudia Knopper arbeitet an einer Image-Kampagne. Sie will an das soziale Gewissen der Unternehmen appellieren.

Manche Handwerksinnungen verfolgen die zunehmenden wirtschaftlichen Aktivitäten der Haftanstalten mit Unbehagen. Druckereien oder Tischlerbetriebe sorgen sich, die Haftbetriebe könnten unlautere Billigkonkurrenz machen. Wolfgang Gödl beruhigt: "Wir arbeiten billig", sagt er, aber die Justizanstalten wollen mit dem Niedriglohnsektor im "Konzern hinter Gittern" nicht Privaten in die Parade fahren, sondern den gestrandeten Mördern, Dieben und Betrügern eine zweite Chance geben.

Hör-Tipp
Saldo, Freitag, 6. April 2007, 9:45 Uhr

Links
Verein Neustart - Ja sicher
Justizministerium - Justizanstalten