Ilija Trojanow im Gespräch mit Michael Kerbler

Wer glaubt schon aus freien Stücken?

Der Titel seines neuesten Buches "Weltensammler" scheint programmatisch für den Autor. Dessen Leben führte ihn bisher in drei Kontinente, viele Kulturen und Religionen. Michael Kerbler hat bei einem Wienaufenthalt mit dem Schriftsteller gesprochen.

Ilija Trojanow

Ein "Weltensammler", so der Titel seines neuesten Buches, war er fast von Lebensbeginn an. Der 1965 in Bulgarien geborene Ilija Trojanow war sechs Jahre alt, als seine Familie 1971 über Jugoslawien und Italien nach Deutschland flüchtete und politisches Asyl erhielt. Aber schon 1972 zog die Familie weiter nach Kenia, wo der Vater eine Anstellung als Ingenieur fand. In der Folge lebte Ilija Trojanow in Nairobi, in Deutschland und Frankreich. In München gründete er zwei Verlage, die sich auf afrikanische Literatur spezialisierten. 1999 übersiedelte Trojanow schließlich nach Mumbai, dem früheren Bombay; beschäftigte sich mit dem Islam und pilgerte nach Mekka. Vor knapp vier Jahren ist der "Weltensammler" nach Afrika zurückgekehrt, ist aber Reisender geblieben. In Wien hat Michael Kerbler mit Ilija Trojanow gesprochen.

Michael Kerbler: Herr Trojanow, nach der Lektüre des "Weltensammlers", wie auch nach der Lektüre Ihrer Biografie, ist mir ein Satz von Peter Handke aus seinem "Kaspar" nicht aus dem Kopf gegangen: "Ich möcht ein solcher werden, wie einmal ein anderer gewesen ist". Ist so etwas eine Intention für Ihren "Weltensammler" gewesen?
Ilija Trojanow: Das ist interessant. Ich kannte die Aussage von Peter Handke nicht, aber sie erinnert mich an eine Aussage eines großen Sufi-Mystikers, nämlich Al-Ghazali, der sagt: "Das Leben ist eine Reise vom Ich zum Selbst". Man bleibt zwar bei sich, aber immer wird eine Transformation angestrebt. Und diese Transformation hängt natürlich damit zusammen, dass ich meine eigene Person, aber auch andere Menschen als dynamische Identitäten begreife. Und mich interessiert die Möglichkeit, dass man seine eigene kulturelle Identität immer wieder erweitern, anreichern kann.

Wenn man diese Reise vom Ich zum Selbst macht, dann wird die Welt zur Goldmine?
Dann wird die Welt zur Goldmine, ja. Diese Obsession hat mich selber angesteckt. Ich wollte ja nur ein Jahr nach Indien gehen, um zu recherchieren, um mich umzuschauen. Und dann sind fünfeinhalb Jahre daraus geworden. Je mehr ich begriffen habe, wie sehr nur das nackte Aussetzen die Chance birgt, dass man sich wirklich verändert, desto mehr empfand ich die Verpflichtung, mich auch auszusetzen. Und das hatte dann zur Folge, dass ich zum Beispiel zu Fuß die Nilquellen-Expedition meiner Romanfigur Richard Burton nachgegangen bin. Das heißt, dieser Wahn hat auch mich gepackt. Ich musste irgendwann nach fünf Jahren Recherche mich zwingen, alles beiseite zu legen und mit dem Schreiben des Romans zu beginnen.

Zum Stichwort Metamorphose. Sie sind ja wirklich in diese Figur Burton hineingeschlüpft, weil Sie auf seinen Spuren schlussendlich auch zu einer anderen Religion gefunden haben, zur Mystik dieser anderen Religion, zum Sufismus. Einen großen Irrtum sollten wir gleich klären: Sie sind nicht Moslem geworden, Sie sind nicht konvertiert?
Ich weigere mich - und das hat durchaus auch Tradition im Sufismus - innerhalb dieser Kategorien zu operieren. Denn das sind natürlich Kategorien einer ideologischen Reinheit: Entweder man gehört der einen Gruppe an, oder einer anderen. Um zu konvertieren, muss man aus einer einseitigen Gläubigkeit in eine andere einseitige Gläubigkeit fallen. Ich glaube, dass das Wundersame und Wunderbare an diesem mystischen Weg, den Leute wie Richard Burton und viele, viele andere vor ihm und nach ihm begangen haben, ist, dass man sich sozusagen eine spirituelle Multiperspektivität bewahrt. Dass man nicht nach einem ewigen Gesetz sucht, sondern im Gegenteil, dass man das Schöpferische und das Mirakulöse in der Vielfalt sucht und findet.

Buch-Tipp
Ilija Trojanow, "Der Weltensammler", Hanser, ISBN 3446206523

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CD-Tipp
"Im Gespräch Vol. 7", ORF-CD, erhältlich im ORF Shop