Macht und Kontrolle

Die rechte Schreibung, die rechte Sprache

Die Standardisierung einer Sprache für eine Sprachgemeinschaft war schon früh ein Thema. Bereits Ende des 15. Jahrhunderts verwies der spanische Gelehrte Antonio de Nebrija auf die Notwendigkeit einer sprachlichen Einheit.

Schon im Spätmittelalter überlegten die Eliten, welche Sprachvarietät innerhalb einer Einzelsprache, sei es Deutsch, Französisch oder Englisch, die "bessere" sei.

Mit dem Bedeutungsverlust des Lateinischen wurde die Dringlichkeit nach einer Auswahl innerhalb der unterschiedlichen deutschen Dialekte immer größer. Wie diese gemeinsame Volkssprache nun aussehen sollte, war anfangs unklar.

Meißnisch oder Oberdeutsch?

Der territorial zersplitterte deutschsprachige Raum schielte in linguistischen Fragen auf das Vorbild Frankreich: Dort bildete sich eine - vom zentral regierenden Paris geprägte - Hochsprache heraus.

Nach den Debatten zahlreicher Sprachgesellschaften im 17. Jahrhundert, welches Deutsch denn das beste sei, bildete sich ab der Mitte des 18. Jahrhunderts auf der schriftlichen Ebene das "Meißnische", eine ostmitteldeutsche Sprache, die um Dresden und Halle gesprochen wurde, heraus.

Auch die österreichische Kaiserin Maria Theresia wollte einen Gelehrten wie den Leipziger Johann Christoph Gottsched nach Wien holen, der das Meißnische dem in Österreich gesprochenen Oberdeutschen vorzog. Der Grund dafür: Mit Hilfe der vereinheitlichten Sprache war es Preußen gelungen, eine erfolgreiche Militär- und Verwaltungspolitik zu betreiben.

Schriftbild = Lautung?

In den meisten Sprachen besteht keine Eins-zu-eins-Beziehung zwischen Sprache und Schrift. Betrachtet man etwa das Englische, stehen Wörter wie knight (Ritter) und night (Nacht) in unterschiedlicher Schreibung aber gleicher Lautung nebeneinander.

"Die Tradition in Europa ist in Hinblick auf die Standardisierung von Macht und Kontrolle geprägt", sagt Anja Voeste. "Wir haben weniger Dialekte und Sprachen als früher, trotzdem muss man heute so viele Rechtschreib- und Umgangsformen kennen wie nie zuvor. Wer diese Regeln nicht beherrscht, wird beruflich nicht aufsteigen oder zumindest sozial geächtet." Sprachwissenschaftler beobachten heute eine neue Vielfalt an Codes und anderen sprachrelevanten Themen.

23 Austriazismen: "Alles Topfen"?

Sprache macht Politik. Im Lauf der letzten 60 Jahre - so beobachten Wissenschaftler - wurde die deutsche Sprache immer wichtiger für den Erhalt der Identität vieler Österreicher. Einen Grund dafür sieht der Linguist Rudolf de Cilia in der zunehmenden Globalisierung und der europäischen Integration. So wird dem Englischen als einer immer dominanter werdenden Sprache das Deutsche entgegengehalten. Ein sprach- und gesellschaftspolitisches Thema bietet sich da besonders an: die Sprachplanung des österreichischen Deutsch, das inzwischen auch "EU-geregelt" existiert.

"Österreich ist diese Frage erst sehr spät aufgefallen", kritisiert der Sprachwissenschaftler Peter Wiesinger. Das Bundeskanzleramt forderte im Zuge des Beitritts zur EU die einzelnen Ministerien auf, die sprachlichen Belange ihrer Bereiche vorzutragen, einzig das Landwirtschaftsministerium antwortete. "Und da die Zeit wegen der Verhandlungen eilte", so Peter Wiesinger weiter, "wurde dieses beauftragt, hier aktiv zu werden" - mit dem Ergebnis, dass Ausdrücke aus dem eigenen Bereich gewählt wurden. Diese 23 Begriffe - von Marille bis Erdapfel - bilden eine offene Liste.

Der bewusste Akt, der hier gesetzt wurde, steht - auch wenn das Ergebnis unbefriedigend sein mag - für eine bewusste Sprachen- und Identitätspolitik. Was den Österreichern tatsächlich wichtig ist, scheint in einer Zeitungsanzeige der Österreichischen Wirtschaftskammer anlässlich der Volksabstimmung zum EU-Beitritt 1994 treffend formuliert: "Alles bleibt, wie es isst".

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Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 19. März bis Donnerstag, 22. März 2007, 9:30 Uhr

Veranstaltungs-Tipp
Symposium, "Sprache - Wissenschaft - Wirklichkeit", ORF RadioKulturhaus, Argentinierstrasse 30 A, 1040 Wien, Donnerstag, 22. März 2007, 15:00 Uhr

Das Symposium ist Auftakt der Initiative "Sprache in Wissenschaft und Forschung, Sprache im gesellschaftlichen Dialog", getragen vom Wissenschaftsministerium und von der Ö1 Wissenschaftsredaktion.