Von Praktikum zu Praktikum

Generation 1000 Euro

Antonio Incorvaia ist ein typischer Vertreter der neuen sozialen Schicht. Er hat ein abgeschlossenes Architekturstudium, verdingt sich aber als Dauerpraktikant. Zusammen mit Alessandro Rimassa eröffnete er den Blog "Generation 1000 Euro".

Und noch ein Praktikum ...

Was im deutschsprachigen Raum unter dem Schlagwort "Generation Praktikum" bekannt ist, das ist in Italien die "Generation 1000 Euro." Gut ausgebildete junge Leute, die trotz aller Anstrengungen nicht am Arbeitsmarkt Fuß fassen können. Ein Praktikum folgt auf das nächste, und bevor man es sich versieht, ist man jenseits der 30 und hat noch immer keinen ordentlichen Job.

Der 1974 geborene Antonio Incorvaia ist ein typischer Vertreter dieser neuen sozialen Schicht. Er hat ein abgeschlossenes Architekturstudium, verdingt sich aber als Dauerpraktikant. Er war schon Grafiker, Web-Designer und Fernsehredakteur - alles Jobs, die gut klingen, aber wenig Geld einbringen. Zusammen mit seinem Co-Autor Alessandro Rimassa stellte er den Text "Generation 1000 Euro" ins Netz. Bald schon bildete sich rund um dieses Schlagwort ein sehr aktiver Blog, und Medien im ganzen Land begannen sich für die Schicksale der darin beschriebenen Wohngemeinschaft zu interessieren, weil sich darin die Probleme der italienischen Gesellschaft widerspiegeln.

Mit wenig Geld über die Runden kommen

Das Buch "Generation 1000 Euro" ist ein typischer Produkt der Popliteratur. Hier kann man jungen Menschen dabei zusehen, wie sie ihr Leben fristen: Freundin, Job, Kino, Alltag. Im Unterschied zu anderen Texten dieses Genres steht aber nicht die Suche nach der Traumfrau im Mittelpunkt, sondern die Frage, wie komme ich mit wenig Geld über die Runden.

Die Folgen sind bekannt: junge Menschen, die es sich zweimal überlegen, ob sie in ihrer prekären Lebenssituation - in der es keine Hoffnung auf Besserung gibt - Kinder in die Welt setzen. Erwachsene, die noch immer im Hotel Mama oder in Wohngemeinschaften wohnen; nicht aus Faulheit oder weil sie auf sexuelle Ausschweifungen hoffen, sondern weil sie sich ganz einfach keine eigene Wohnung leisten können.

"Alle Stellen sind befristet, immer nur befristet. Keinerlei Garantien, nur Psychoterror, Erpressung, Bedrohung. Zeitverträge, die dich direkt aufs Abstellgleis befördern oder die im besten Fall in andere Zeitverträge übergehen. Weder Zukunft noch Gegenwart lassen sich planen."

Kündigungsschutz verhindert Anstellung

"Generation 1000 Euro" spielt in Mailand - die Probleme aber, denen sich die Protagonisten gegenüber sehen, sind wohl in ganz Europa ähnlich, auch wenn es regionale Unterschiede gibt. So ist eindeutig festzustellen, dass in jenen Ländern - sprich Italien und Deutschland -, in denen ein besonders rigider Kündigungsschutz besteht, Unternehmen in höherem Maße davor zurückschrecken, neue Leute einzustellen. Schließlich hat man ohnehin genug alte Angestellte, die - egal ob sie etwas taugen oder nicht - weiterbeschäftigt werden müssen. Und wenn sie ihre Arbeit bei vollen Bezügen nicht machen wollen oder können, dann muss eben ein billiger Praktikant aushelfen. Für den einzelnen Betrieb macht das durchaus Sinn, makroökonomisch und auf sozialer Ebene aber birgt das gehörigen Sprengstoff in sich.

Wie sich dieses Dilemma lösen lässt? Wohl nicht durch einen Streik der Praktikanten, wie ihn die beiden Autoren in ihrem Buch beschreiben. Da gehen mehrere tausend Menschen auf die Straßen, um auf ihre Probleme hinzuweisen, und in mehreren Firmen kommt es zum Stillstand - eben weil die billigen Praktikanten fehlen. Aber eine dauerhafte Lösung ist das nicht. Solange es genug andere gibt, die darauf brennen, für wenig Geld arbeiten zu dürfen, weil sie glauben, so im Berufsleben voran zu kommen, wird sich wenig bis nichts ändern.

Vieles ist möglich

Eine Möglichkeit, wie man aus der Abhängigkeit ausbrechen kann, zeigt dieses Buch auf. Nicht mehr länger darauf hoffen, irgendwann in einer Firma Unterschlupf zu finden und sich verleugnen, sondern selbst etwas auf die Beine stellen, denn die neue Unübersichtlichkeit hat auch Vorteile: Vieles ist möglich. Dafür muss man eben etwas Neues denken, und sich nicht mehr länger nach der Arbeitswelt der 1970er Jahre zurücksehnen, die - aber das scheinen heute alle zu vergessen - ja auch nicht ein einziges Schlaraffenland war, sondern damals als Sinnbild für ein entfremdetes Leben galt.

Und heute soll das die einzige Utopie sein, der die Jungen noch nachjagen? Was also tun? Eine Möglichkeit: das triste Schicksal der eigenen Generation öffentlich zu machen, und damit sein Geld verdienen.

"Ein Freund von mir arbeitet in der Pressestelle eines Computergiganten. Wenn er das irgendwo erzählt, verziehen alle bewundernd das Gesicht. Tatsächlich hat er auch einen hochverantwortlichen Job, er reist viel, hat jede Woche Videokonferenzen mit Leuten aus den USA ... Und am Ende bekommt er weniger heraus als ein Klempner oder ein Anstreicher. 1.200 Euro vielleicht."

Service

Antonio Incorvaia und Alessandro Rimassa, "Generation 1000 Euro", aus dem Italienischen übersetzt von Claudia Franz, Goldmann Verlag