Freiwillig in die Fremde
Die versteckte Minderheit
Ein Großteil der rumänischsprachigen Minderheit der Vlasi in Serbien lebt heute in der Diaspora - vor allem auch in Österreich. Im Ausland hält man die Vlasi für Serben. Sie selbst definieren sich meist als Serben mit zwei Sprachen.
8. April 2017, 21:58
Fast die Hälfte der rund 10.000 Serben, die 2003 die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten hätten, stamme aus dem ostserbischen Kreis Branicevo, behauptete der serbische Journalist Dragan Stodic in einem Zeitungsartikel. Das Gebiet sei die am stärksten von Migration betroffene Region des Landes, und das Hauptziel des nun bereits seit drei Generationen anhaltenden Wanderungsstromes sei Wien.
Unerwähnt bleibt, dass diese Gegend zum kompakten Siedlungsgebiet der Vlasi oder Wlachen gehört - einer im Ausland wenig bekannten Minderheiten Serbiens. Vlasi leben in der Bergregion zwischen den Flüssen Donau, Morava und Timok, einem der industriell unterentwickelten, von Landwirtschaft geprägten Teile Serbiens.
Vlasi in Österreich
Über die Zahl der Vlasi in Österreich gibt es keine gesicherten Angaben: Sie scheinen in den amtlichen Statistiken als Serben auf. Gemäß einer vorsichtigen Schätzung der Kultur- und Sozialanthropologin Ana Djordjevic könnten es 10.000 sein, vielleicht sogar deutlich mehr.
Der in Wien lebende Philosoph und Autor Ljubomir Bratic stammt aus dem kleinen Ort Velinka Kamenice unweit von Negotin. Die ersten fünf Jahre seines Lebens habe er nur Vlaschki - die Sprache der Vlasi - gesprochen, so Bratic. Die gesamte Schulbildung erhielt er dann ausschließlich auf Serbisch. Heute benutzt Bratic Vlaschki noch im Umgang mit Verwandten und Menschen aus der unmittelbaren Herkunftsregion.
Eine romanische Sprache
Das Vlaschki ist ein lokaler Dialekt des Dakorumänischen, der heutigen Staatssprache Rumäniens. Dennoch fühlen sich die meisten serbischen Vlasi viel mehr als Serben denn als Rumänen, oder sie betrachten sich als eigenständige Gruppe mit besonderen Traditionen und kulturellen Praktiken. Zur Frage ihrer Herkunft gibt es unterschiedliche Theorien, aber aufgrund der Quellenlage keine eindeutige Antwort.
Wird sich das Vlaschki erhalten?
Vor allem in den Städten verschwindet das Vlaschki immer mehr. Doch es gibt auch eine gegenläufige Entwicklung: Verschiedene, zum Teil von Rumänien unterstützte NGOs bemühen sich um den Erhalt der Kultur und der Sprache sowie um deren Verschriftlichung. Bei der Volkszählung von 2002 bekannten sich 40.000 Menschen in Serbien zur Volksgruppe der Vlasi, mehr als doppelt so viele wie bei der vorletzten Zählung 1991.
Das Fehlen einer einheitlichen Positionierung als Gruppe trägt jedoch mit dazu bei, dass die seit 2002 verfassungsmäßig garantierten Minderheitenrechte bislang kaum umgesetzt worden sind. Laut Helsinki-Komitee sind die Vlasi die am wenigsten fordernde Minderheit Serbiens.
Entvölkerte Dörfer
Durch die Massenabwanderung sind zahlreiche Dörfer im Vlasi-Gebiet nahezu entvölkert. Die riesigen Häuser, die mit im Ausland verdienten Geldern aufgebaut worden sind, symbolisieren die Sehnsucht der ersten Generation von Migranten nach einem besseren Leben.
Doch die meisten dieser Gebäude stehen leer: Die Großfamilien, für die sie errichtet worden sind, existieren nicht mehr in ihrer ursprünglichen Gestalt. Die Kinder und Enkel leben verstreut: in verschiedenen Ländern Europas oder gar in Übersee.
Hör-Tipp
Dimensionen, Donnerstag, 15. Februar 2007, 19:05 Uhr