Oder - die Liebe zur Genauigkeit?

Abenteuer im Unbekannten

Und wieder diese Fremdheit der Gegend, des Klangs. Spannend, nun halb bekannt und doch neu. Du fürchtest vor Einzelheiten die Übersicht zu verlieren, vor lauter Gestrüpp den Wald - und plötzlich, unerwartet, wird dir alles zum Ganzen, zum Bild.

Beides, um die Antwort gleich zu geben. Was aber bedeutet die Frage?

Da ist diese Landschaft, dieses Musikstück, nie gesehen, nie gehört: unbekanntes Terrain. Oder die Wohnung eines Fremden, ihm vertraut wie seine Westentasche. Oder vielleicht ist es seine Westentasche? Die wollen wir kennen lernen. Oder dieser Text, den Du jetzt liest. Halt, nicht sofort verirren! Wo sind wir überhaupt?

Auf einer Heide - Ödnis, Gestrüpp? Ist das Joseph Haydn, da drüben beim Heidentor? Oder rudern wir auf des Meeres Wellen? Man sollte mehr Wellesz hören. C'est merveilleux. Ist es ein Feld? Ein Beet? Ein Haus? Ein Hof? Gleichviel, wir gehen hinein und schauen. Du ich er sie, Leser Autor Hörer Spieler. Wir.

Der Eingang ist oft vorne. Links oben. Vorsicht, nicht immer! Binde einen Faden an die Schwelle!

Wartet ein Stier hinter der Tür? Geht sie leise auf? Fällt sie laut zu? War das Zufall? Nein, da ist noch eine, ganz ähnliche. Und eine dritte. Vergleichen wir die Strecke dazwischen! Du bleibst stehen, ich vermesse die Welt. Der Punkt, den Du zum Standpunkt wähltest, wird zum Referenzpunkt. Hörst Du den Orgelpunkt? Oh, das Stück hat ein Zentrum, das Land einen Namen. Tonalität. "A". Natürlich, aller Anfang ist Alpha. Das Land Atlantis? Arkadien? Austria? Oder doch nur Andorra?

Wandern wir weiter. Der stetige Rhythmus erschließt die Distanzen, Zeit wird fühlbar. Du erkennst Wiederkehrendes: eine Art von Blumen, einen Fetzen Melodie. Aber da, was für ein seltsames Gewächs, was für ein schräger Klang. Geh näher hin, bleib stehen. Schau genau. Höre noch einmal. Zerlege, seziere. Analysiere. Spiele langsam. Vergleiche den Text! Hm, deine Landkarte, diese Partitur, scheint voll Fehler zu stecken. - Du erkennst es selbst, schon hast Du die Wohnung des Fremden erkundet, seine Logik entziffert. Beklag dich beim Verlag, es wird dir nichts nützen, dafür ist kein Geld da. Keine Zeit, kein Geld, keine Genauigkeit, keine Liebe.

Geh trotzdem vorwärts, bring all das auf, auch wenn dich manches aufbringt. Es bringt dich nicht um, sondern weiter.

Und wieder diese Fremdheit der Gegend, des Klangs. Spannend, nun halb bekannt und doch neu. Du fürchtest vor Einzelheiten die Übersicht zu verlieren, vor lauter Gestrüpp den Wald - und plötzlich, unerwartet, wird dir alles zum Ganzen, zum Bild.

Schau es neu an! Was sagt jetzt dein Gefühl dazu? Natürlich gefällt es dir, es ist ja da. Natura, morta und viva zugleich, ein lautstarkes Stillleben. Natürlich. Von dir durchschritten, entdeckt. Du brauchst dein Gefühl nur noch mitzuteilen, teil es, schenk es her. Die Liebe ist genau, und genauso ist sie großzügig.

Und jetzt bist Du bereit für die ganz großen Abenteuer: Du hast dich bekannt gemacht, hast dich dazu bekannt. Im Bekannten stößt Du auf das gänzlich Unbekannte - Freiheit.

Du in der Landschaft, die Landschaft in dir. Und jetzt, schau: Da sind andere Menschen, unterwegs wie Du!

Musik zu zweit, Beziehung zum Gegenüber, zum Publikum, zum Großen Ganzen.

Hör-Tipp
Intrada, Freitag, 1. Februar 2008, 10:05 Uhr

Mehr dazu in oe1.ORF.at

CD-Tipp
Egon Wellesz, "Die Werke für Violine und Klavier", Joanna Madroszkiewicz, Paul Gulda, Gramola

Links
Joanna Madroszkiewicz
Gramola