Lena Doppel über die Transmediale 2007

Digitalkunst und Philosophie

Da sitz ich nun inmitten aller Medienkunst und lese ein Buch. Selber schuld, sag ich mir: mach doch das, wofür ohnehin 90 Prozent aller Besucher hier sind: networke und socialize. Aber das reicht mir nicht.

Ich sitz ja gern am Wirtshaustisch, aber eigentlich bin ich auf der Transmediale 2007, um mein Hirn auszulüften, spannende Vorträge zu hören und mich an kontroversen Diskussionen zu beteiligen. Diesmal nicht: Eine Kombination aus - für mich Festival-Fußvolk - ausverkauften Keynotes, mäßig interessanten Ausstellungsbeiträgen und einer hartnäckigen Verkühlung gibt mir - Zeit.

Und gut so. "Lies ein Buch", hat schon meine Oma gesagt, "wenn dir fad ist." Vor allem wenn dann so was drinnen steht: "Überhaupt lässt sich bei derartigen Gelegenheiten ein generelles Mißverhältniss zwischen dem technischen und medialen Aufwand und dem geistigen Gehalt des Gebotenen konstantieren. Dort wo alles glitzert und funkelt, Videobeamer, Screens und Laptop die Szene beherrschen, multimedial agiert und künstlerisch interveniert wird, ist es tatsächlich besser, nicht mehr zuzuhören."

Hier spricht ein Philosoph, ein populärer noch dazu, Österreicher, Uniprofessor, und - zugegeben - er spricht er nicht über die Transmediale, sondern über die heutzutage konferenzübliche Präsentation von so genanntem "gemanagtem Wissen".

"Theorie der Unbildung" heißt Konrad Paul Liessmanns neues Buch. Passt ganz gut zu meinem Gefühl der Beliebigkeit, des Fragmentierten, des Stückwerks das dieses Festival bietet. Kann schon sein, dass ich trotzdem auf der richtigen Veranstaltung bin: der Titel der diesjährigen Transmediale ist "Unfinish!" und ein wenig ungefinisht wirkt auch das Programm: die Abwesenheit eines roten Fadens darf vom p. t. Besucher wohl als roter Faden gedeutet werden.

"Unfinish! ist der Schlachtruf und der Fluch der digitalen Arbeit, die keinen Abschluss, sondern nur aufeinanderfolgende Versionen kennt. Ein Paradigma digitaler Kultur?" informiert die Konferenzhomepage. Und was hab ich jetzt davon? Unzufriedenheit_v0.9?

Ich gehe in die Festival-Buchhandlung, um zu stöbern. Eigentlich ist grad die Stelarc-Keynote, aber die darf ich nicht besuchen, trotz Festivalpass: Ausverkauft. Die Festivalbürokratie verteilt Zählkarten und verwendet kleine Straßenbahnschaffnerkneifzangen zum markieren der Festivalpässe, damit keiner zwei Karten nimmt.

Liessmann schreibt, dass dem modernen Wissen die synthetisierende Kraft fehle. Es bleibt Stückwerk: rasch herstellbar, schnell anzueignen und leicht wieder zu vergessen. Das "angeblich wichtigste Produktionsmittel" der Wissensgesellschaft "das Wissen selbst" wird hinaufgejubelt und kann trotzdem nie genügen, weil es immer rascher als veraltet angesehen und damit wieder entwertet wird. Ich fühle mich ertappt: gerade noch habe ich zwei Werke über digitale Musik inspiziert und dabei auf die Erscheinungsjahre geschielt. Ich kann doch nix kaufen, was 2004 erschienen ist - ist doch uralt!

"Theorie der Unbildung" eröffnet mit einer Kritik an der Millionenshow: Im Zeitalter "medialer Enthusiasmierung" zähle als Wissen nicht mehr, ob ein Quizkandidat Spinozas "Ethik" tatsächlich gelesen habe, sondern bestenfalls, ob er weiß, ob es von "Descartes, Spinoza, Kant oder Hobbes geschrieben wurde".

Konrad Paul Liessmann ist kein Maschinenstürmer, er ist ein Platitüdenstürmer. Stück für Stück nimmt er die Mythen der postindustriellen Gesellschaft aufs Korn: "Der Begriff der Wissensgesellschaft soll einen gravierenden, gesellschaftlichen Transformationsprozess indizieren: die Verwandlung der klassischen Industriegesellschaft in eine Formation, in der nicht mehr der Abbau von Rohstoffen, die Produktion und der Handel mit Industriegütern signifikant sind, sondern der Erwerb und die Arbeit mit 'Wissen'. Die 'materielle Ökonomie' soll durch eine 'symbolische Ökonomie' abgelöst werden."

Ich finde es beruhigend, dass Liessmann an dieser Stelle nicht bewundern abnickt, sondern ein herzhaftes "Häh? Wie bitte?" folgen lässt - wenn auch philosophisch-distinguierter: "Allein der Schein trügt. Das bestimmte Formen industrieller Arbeit nicht mehr sichtbar sind, verdankt sich vorab weniger ihrem Verschwinden als ihrer Verlagerung. Die Öfen der Stahlindustrie...lodern und rauchen nach wie vor, aber an anderen, billigeren Standorten."

Arthur Krokers neues Buch "Born Again Ideology" kann man sich neudigital-standesgemäß von seiner Homepage herunterladen. Allein nach dem Besuch seiner Keynote fehlt mir dazu ein wenig die Lust. Diebisch hatte ich mich auf vollmundige Attacken auf das Polit- und Frömmel-Establishment der USA gefreut. Stattdessen reitet Kroker auf Metaphern herum, bis sie vor Schmerzen schreien: Technologieentwicklung "rast mit Lichtgeschwindigkeit", Amerikanische Technologiepolitik verhält sich wie Einsteinsche schwarze und weiße Löcher. Gar zu verworren belieben die "verworrenen Fäden von Politik und Religion in Amerika". Dann zum Schluss die Aufklärung: das Buch sei work-in-progress, "unfinished" eben.

Liessmann hätte vermutlich seine Freude an Krokers Vortrag gehabt - als Anschauungsunterricht: Laut Liessmann werden Einzelheiten und Begriffe erst dann zu Wissen, "wenn sie nach logischen und konsistenten Kriterien derart miteinander verknüpft werden können, dass sie einen sinnvollen und überprüfbaren Zusammenhang ergeben." Wie herrlich old school!

Lena Doppel ist Geschäftsführerin der Unternehmensberatung IOT und Assistentin an der Universität für angewandte Kunst Wien, Institut für Design und dort zuständig für Computer und Web.

Mehr zu früheren Ausgaben der Netzkultur in oe1.ORF.at

Hör-Tipp
Matrix, Sonntag, 11. Februar 2007, 22:30 Uhr

Buch-Tipp
Konrad Paul Liessmann, "Theorie der Unbildung", Zsolnay Verlag, ISBN 9783552053823

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