Die sieben Todsünden - Teil 1

Sackgassen der Glücksuche

Wie erfüllen wir das Begehren, befriedigen Bedürfnisse? Wie kommen unsere Sinne auf ihre Kosten, ohne nur die Gier zu nähren und uns selbst und andere zu zerstören? Diese und andere Fragen stellte man bei einer Tagung der Evangelischen Akademie Tutzing.

Nicht-theologische Meinungen über die sieben Todsünden

"Die sieben Todsünden - Von der Dekadenz zum wirklichen, verantwortbaren Genuss“. So lautete der Titel einer Tagung der Evangelischen Akademie Tutzing.

Das Besondere an dieser Tagung: Der evangelische Theologe und Tagungsstudienleiter Jochen Wagner hatte nicht-theologische Fachleute eingeladen: Literatur- und Kulturwissenschaftler, Soziologen, Politologen, Psychoanalytiker, und Kommunikations-Experten - eine bunte Mischung also, um das Thema mit neuen Denkansätzen zu beleuchten.

Die Lasterlehren der Wüstenmönche

Das Konzept der Sünde gilt in unserer heutigen Gesellschaft als überholt. Die sieben "Todsünden“ scheinen sich auf dem ersten Blick schlecht mit unserem Lebensstil zu vertragen, in dem raffiniertes Essen, ein ausgefülltes Sexualleben und Shopping als Garanten eines guten Lebens gelten.

Superbia (Hochmut, Überheblichkeit), Avaritia (Geiz, Habsucht), Invidia (Neid), Ira (Zorn), Luxuria (Wollust, Sexsucht), Gula (Völlerei, Masslosigkeit) und Acedia (geistige Trägheit, Melancholie) - damit wurden in der Mittelalterlichen Theologie die sieben Todsünden bezeichnet. Diese hatte sich aus den Lasterlehren der frühen Wüstenmönche entwickelt. Die Lasterkataloge gehen ihrerseits auf die so genannte "Achtlasterlehre" von Evagrios Pontikos und Johannes Cassian zurück. Im Spätmittelalter war davon nur noch die Lehre von den sieben Todsünden übrig - ein platter, Angst erzeugender Moralismus, ohne den einstigen Reichtum spiritueller Erfahrung und Psychologie.

Irdisches Glück ist keine Sünde

Den Begriff Todsünde gibt es im Katechismus der Katholischen Kirche zwar so nicht mehr; er ist durch den Begriff der "schweren Sünde“ ersetzt. Aber im Volksglauben hielt sich der Begriff Todsünde weiterhin, und er wird im ironisch-koketten Sprachspiel der Werbung regelmäßig wiederbelebt. Im Grunde werden darin Exzesse des menschlichen Begehrens beschrieben. Modern gesprochen sind es "Sackgassen der Glückssuche“. Doch die Einsicht in diese Zusammenhänge ist dem modernen Menschen heute verbaut. Die Hauptverantwortung dafür trägt dabei die christliche Verkündigung selbst.

Einseitige Missinterpretationen und Verdrehungen der christlichen Botschaft führten nämlich dazu, dass das irdische Glück Jahrhunderte lang unter den Generalverdacht der Sünde gestellt wurde. Als Gegenmittel wurde eine "Abtötung des Fleisches“ empfohlen und die paradiesische Sinnesfülle ins Jenseits verlagert. Dies führte aber dazu, dass christliches Leben nicht mehr mit Lebendigkeit, Lust, Genuss und Freude assoziiert wurde - ein Sachverhalt, der den Religionsphilosophen Walter Benjamin zur Gegenthese veranlasste: "Nicht die Sinnlichkeit, sondern die Austreibung der Sinnlichkeit aus ihrer geschöpflichen Nähe zu Gott ist die Sünde des Abendlandes“.

Über "ewige" und "zeitliche" Güter

Heute ist in der Postmoderne ein anderer Prozess im Gange: Das Verbot "Du sollst nicht begehren“ ist zum Gebot "Du sollst pausenlos alles begehren“ mutiert. Dies wirft neue Probleme auf und stellt den Menschen vor die Frage nach dem richtigen Maß zwischen den Extremen.

Die biblischen Religionen unterscheiden zwischen dem Streben nach ewigen Gütern, welches die Menschen vereint, und dem Begehren von weltlichen Dingen, das leicht zu Rivalität und Krieg führt. Eine Unterscheidung, die bereits in den zehn Geboten zu finden ist. Augustinus systematisierte dann diese biblische Sicht, indem er zwischen ewigen Gütern, welche die Menschen genießen sollten, und allen zeitlichen Gütern, die nur gebraucht werden sollten, unterschied.

Die Grenzen des Haben-Wollens

Am Beispiel der Habgier lässt sich zeigen, was gemeint ist: Sündig ist Haben dann, wenn es Leben zerstört - das eigene oder das der anderen; wenn es - religiös gesprochen - an die Stelle Gottes tritt, wenn Transzendenz in Immanenz umgewandelt wird.

Gleiches gilt für die Sexualität. Sie wird im Volksglauben schnell in Verbindung mit Sünde gebracht. Zu Unrecht! Denn Sexualität an sich ist - religiös gesprochen - ein göttliches Geschenk. Zur Sünde wird sie erst, wenn sie eigenes oder anderes Leben beschädigt. Der Unterschied, der zwischen Sexsucht (Unkeuschheit) und sexueller Liebe liegt, ist, dass in der Liebe die eigene Unvollkommenheit und die des anderen anerkannt und geachtet wird. Man liebt also nicht (narzisstisch) sich selbst im Anderen, sodass der andere als Objekt beliebig und austauschbar wird, sondern man liebt den konkreten Anderen als er oder sie selbst.

Mehr zu diesem Thema in oe1.ORF.at
Wenn Verbote zu Geboten werden
Die neun Gesichter der Seele
Von der Unterscheidung der Geister
Die sieben Todsünden der Liebe

Hör-Tipp
Logos, Samstag, 13. Jänner 2007, und Samstag, 20. Jänner 2007, jeweils 19:05 Uhr

Salzburger Nachtstudio, Mittwoch, 17. Jänner 2007, 21:01 Uhr