Glück für Alle

Lebenskunst - ein eitles Vergnügen?

Zur Erlangung von Lebenskunst gibt es keine Regeln einer Lehre, die man befolgen könnte. Vielmehr ist die Lebenskunst eine philosophische Annäherung an das Sein, die zum Beispiel Michel Foucault in einer "Ästhetik der Existenz" zusammenfasste.

Vereinfacht gesagt, zielt die "Ästhetik der Existenz" darauf ab, das eigene Leben als permanentes Experiment zu begreifen. Eine Voraussetzung dafür ist es, Situationen oder Gewohnheiten auch aus anderen, nicht vertrauten Perspektiven zu betrachten, um so bisherige Lebenspositionen zu reflektieren. Eine Möglichkeit, Selbstmächtigkeit zu erlangen, ist es, Abstand zu gewinnen, die Dinge aus der Distanz zu betrachten.

Zentrales Thema der Antike

In der griechischen Antike war die Lebenskunst ein zentrales Thema der Philosophie. Im Streben nach Glück lag die Grundlage aller Hellenistischen Denkschulen. Die höchste Form des Glücks - darüber waren sich die Philosophen einig - bestand in der "Ataraxie" - der Seelenruhe. Allerdings wie man diese erlangen konnte, darüber herrschte Dissens.

Während beispielsweise die Epikurärer die Vermeidung von Unlust als Weg zum Glück propagierten, ging es Aristoteles in seiner "Nikomachischen Ethik" unter anderem um das Erreichen des rechten Maßes.

Die Ästhetik der Existenz

Von den Antiken Lehren beeinflusst wurde auch das Denken des 1984 verstorbenen Denkers Michel Foucaults. Dieser entwickelte eine "Ästhetik der Existenz", die weder Ge- noch Verbote kennt und damit auch keine Wertungen, ob etwas gut, oder schlecht sei.

Die Voraussetzung dafür sei laut Foucault die Erlangung von Selbstmächtigkeit durch Selbsterfahrung. Erreicht wird diese bei Foucault durch bestimmte, oft banal klingende Techniken, die allesamt dem Individuum helfen sollen, das eigene Leben als gestaltbaren Prozess wahrzunehmen.

Diese Techniken sind - neben dem Ausleben der Erotik und von Affekten - die Ironie, das Lachen, aber auch das Schreiben, die Gestik, die Sorge um den eigenen Körper, das Feiern von Festen, das entfalten von Kreativität, oder das Pflegen von Freundschaften. Die Wiederholung von als positiv empfundenen Handlungen, Begegnungen und Gedanken soll schließlich zu einer Veränderung von Gewohnheiten führen.

Liberalismus als Lebenskunst?

Auch im Liberalismus des 19. Jahrhunderts spielte die Selbstkreation des Individuums, also die Idee, das Leben möglichst nach dem eigenen Willen zu gestalten, eine entscheidende Rolle. In seiner Schrift "On Liberty" unterschied der Englische Philosoph John Stewart Mill - er lebte von 1806 bis 1873 - zwischen zwei Formen menschlicher Freiheit.

Die eine war eine Freiheit im Sinne einer rationalen Selbstbestimmung. Aus diesem Freiheitsbegriff heraus lassen sich unter anderem die Idee der Menschrechte, aber auch Rechte der politischen Partizipation wie Versammlungsrechte und die Meinungsfreiheit ableiten.

Den zweiten Freiheitsbegriff bezeichnete Mill als Individualität. In diesem Bereich ging es - wie vorher schon bei Mountaigne und später auch bei Foucault - darum, neue Lebensformen zu kreieren.

Damit stellte sich Mills Philosophie explizit gegen die antiken Lehren, die den Menschen als Teil eines kosmischen Systems betrachteten, wodurch dieser nur in eingeschränktem Maß zum Gestalter seines eigenen Seins werden konnte.

Globalisierungsopfer

Eine der neuen Selbstkreationen ist der so genannte "Neue Selbstständige", die "Ich-AG". Dabei handelt es sich um eine Spezies, die man auf dem Arbeitsmarkt wohl in vielen Fällen eher als Globalisierungsopfer bezeichnen könnte. Denn nicht selten handelt es sich bei dieser Form der Selbstständigkeit um ehemalige Angestellte, die von ihren Arbeitgebern gekündigt wurden.

In die "Neue Selbstständigkeit" gedrängt, verrichten viele dort dieselbe Arbeit wie vorher, meist aber mit geringerem Einkommen, plus dem vollen unternehmerischen Risiko. Von der Wirtschaft - und oft auch von der Politik - wird die Situation der "Neuen Selbstständigkeit" meist anders interpretiert. Nämlich als flexibles und dynamisches Leben, das in erster Linie Chancen bietet.

Theorie und Realität

Das Unternehmertum als Chance, sich als Individuum selbst zu kreieren, das entspricht im Grunde auch dem von John Stewart Mill im 19. Jahrhundert postulierten Denkmodell. Dieses erhebt unter anderem auch die Forderung, dass das größtmögliche Glück für eine größtmögliche Anzahl von Menschen erreichbar sein müsse. Die Realität allerdings ist auch heute noch meist eine andere. Während große Vermögen tendenziell weitgehend steuerfrei sind, werden die niederen Einkommensschichten oft immer mehr belastet.

Dazu kommt, dass sich der Wohlstand nur auf einige wenige, großteils westliche Industriestaaten konzentriert, während - wie es scheint - andere Weltregionen ihrem Schicksal überlassen werden. Nach Mills Ideen sollte der Staat durch bildungs- und kulturpolitische Maßnahmen den einzelnen Bürger anspornen, neue Lebensformen zu erproben. Und, so Mill, der liberale Staat sollte die Vielfalt von Lebensformen fördern, damit immer mehr Menschen zum - wie er sinngemäß meinte - Bildhauer ihrer eigenen Natur werden.

Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 8. Jänner bis Donnerstag, 11. Jänner 2007, 9:05 Uhr