Band- statt Schreibgerät

Italienische Reisen

Am 22. März jährte sich Goethes Todestag zum 175. Mal. In Weimar wurde das mit einer Kranzniederlegung in der Fürstengruft gewürdigt. Ö1 hat im Rahmen seines 40-Jahr-Jubiläums jetzt Michael Schrotts Italienische Reise aus dem Jahr 1986 auf CD herausgebracht.

Goethe und Schrott unterwegs

Ich weiß schon: Goethe und Schrott - kein Vergleich! Obwohl wir beide gleich alt waren zum Zeitpunkt der Reise, sieht man von den 200 Jahren Unterschied ab. Und eines war von Anfang an klar: Goethe taugt nicht als Reiseführer durch den unkalkulierbaren, fantastischen Tumult eines Italien am Ende des 20. Jahrhunderts. Denn vor allem zeigt Goethe jenes Italien, in dem die Lateinlehrer erfunden worden sind. Nichts interessiert ihn dort so sehr wie die Überreste der Antike. Aber dieses ist möglich: Goethe als Reiseführer, methodisch: Man kann von ihm lernen, was die Genauigkeit des Hinsehens betrifft, das heißt: informiertes, wenn möglich gebildetes, vorbereitetes Hinsehen. Und: selektives Hinsehen. Nicht "ganz" Italien sehen wollen.

Ich werde Drei-Sterne-Baudenkmäler links liegen lassen, aber Fernsehshows nicht versäumen. Ich werde Museen übersehen, aber gesprühte Wandinschriften genau notieren, mich auf römische Ruinen setzen, um den Wirtschaftsteil der Zeitung zu lesen.

Immer schön langsam

Goethe als Reiseführer für gedrosseltes Tempo. Er ist mit der Postkutsche unterwegs, der "Postchaise", mit dem "vetturin", dem Droschkenkutscher, also mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Nur in Sizilien, wo es die nicht gibt, mietet er sich ein Maultier samt Treiber. So will ich es auch machen, mit Bus und Bahn und Schiff und in Sizilien mit einem Mietauto.

In der Realität waren Goethes und meine Verhältnisse freilich sehr unterschiedlich. Er hatte im Hintergrund einen großzügigen Fürsten, der ihm gesagt hatte: Fahr dahin, wo die Zitronen blühen, sieh dich um, lass dir Zeit, an Geld soll es dir nicht mangeln. Hinter mir hingegen stand ein Unternehmen, das verpflichtet war, mit Hörergeldern sparsam umzugehen. Goethe brauchte mehr als sechs Monate, um von Karlsbad bis Sizilien zu kommen, mir wurden gerade einmal sechs Wochen zugestanden.

Zuerst einmal zurück

Da wollte ich wenigstens nach Möglichkeit zu den gleichen Jahreszeiten in den gleichen Gegenden wie Goethe sein. Das hieß: Noch im Herbst 1985 das erste Teilstück abfahren, von Innsbruck bis Venedig, von Nord nach Süd in sechs Tagen. Ich hatte es schon genau geplant. Doch das letzte Stück dieses ersten Abschnitts hatte ich in der Planung vernachlässigt: Von Padua nach Venedig gondelte Goethe über den Brenta-Kanal mit dem "bucintoro". Dieses Schiff fährt heutzutage wieder. Aber nur noch bis wann? Was?!!! Morgen früh geht der letzte vor der Winterpause?! Jetzt musste es schnell gehen: Nachtzug nach Padua, "bucintoro" erwischt.

Wo ich jetzt schon hier war, am Ende der ersten Etappe, musste ich eben die erste Teilstrecke der Reise sozusagen im Krebsgang erledigen, von Venedig nach Tirol: Vicenza, Verona, Gardasee, Bozen, Brenner. Es ist ausgerechnet jener Teil der Reise, der diesen starken Sog in den Süden hat, in dem Goethe täglich jubiliert, wie mit jedem Stück Weges das Klima milder und die Lebensart unbeschwerter wird. Während Goethe von "ersten Feigen und Pferschen" schwärmt, wird es für mich täglich herbstlicher, kühler, nördlicher.

Die Ausstrahlung im Herbst 1986 trifft die Hörer zufällig genau im richtigen Moment, nämlich in einer Zeit, da viele ihre Vorliebe für italienisches Essen, italienische Musik, italienisches Design entdecken. Man drängt sich in Italienisch-Sprachkursen, diskutiert ermüdend lange über Spaghetti-Kochzeiten und stellt chromglänzende Espressomaschinen auf die Marmorplatten seiner Küchentische.

Alles wie gehabt

Hat sich Italien verändert seit meiner Reise vor 20 Jahren? Ja, in zwei wesentlichen Punkten: Haferflocken, Müsli, Vollkorn-Pasta sind noch in den allerkleinsten Dorf-Alimentari zu bekommen, wo sie vor zwei Jahrzehnten noch völlig unbekannt waren. Und zweitens: Das Rauchen ist nicht nur fast überall verboten, sondern das Verbot wird auch strikt eingehalten. Das war's? Im Wesentlichen schon.

Politisch ist ja alles beim Alten geblieben. Schon vor zwanzig Jahren war der Ritter von der schaurigen Gestalt, der "Cavaliere Berlusconi", Herr des italienischen Privatfernsehens gewesen. Er hatte sich von seinem Freund, dem damaligen sozialistischen Premier Craxi, Gesetze nach Maß auf den Leib schneidern lassen, um seine Medienmacht weiter auszubauen. Wenn damals Andreottis Christdemokraten sich ihre Wählerstimmen in Süditalien von der Mafia hatten organisieren lassen (und als Gegenleistung zum Beispiel fette Bauaufträge an Mafia-Firmen gingen), so macht heute Berlusconis Forza Italia genau den gleichen Tauschhandel.

Alles wie gehabt. Alles uralt, nur in anderer G'stalt, wie Nestroy schrieb. Selbst die Polen sind immer noch da. Kamen sie damals als Wallfahrer zu ihrem "Papa" Wojtyla, so werden sie heute als Billig-Arbeitskräfte im Ernte-Einsatz ausgebeutet. Nur das Müsli und das "Vietato fumare", das ist echt neu.

Hör-Tipp
"Italienische Reisen - Johann Wolfgang Goethe 1786 - Michael Schrott 1986", 14 Folgen, seit 7. Jänner 2006, jeden Sonntag, 9:05 Uhr, nächste Termine 25. März, 1. April und 9. April 2007)

CD-Tipp
"Italienische Reisen - Johann Wolfgang Goethe 1786 - Michael Schrott 1986", ORF CD 3427
Mehr dazu im Ö1 Shop

Links
viaggio in germania - Goethes Reise nach Italien
Goethe-Institut