Die wahren Barrieren sind im Kopf

Barrierefrei Reisen

Reisen sei für sie Ersatz für eingeschränkte Mobilität, sagen Menschen, die auf den Rollstuhl angewiesen sind. Reisen ohne Barrieren ist europaweit zum Thema geworden, die meisten Hindernisse finden sich im Denken nicht behinderter Zeitgenossen.

72 Stunden, also drei ganze Tage, so lange müssen Menschen, die auf den Rollstuhl angewiesen sind, voraus denken, wenn sie per Bahn ins Ausland reisen. Bis vor kurzem mussten sie das auch bei einer Fahrt nach Salzburg oder Innsbruck tun. Jetzt sind es bloß noch 24 Stunden, also ein Tag, um sich innerhalb von Österreich einen Rollstuhlplatz in der Bahn zu sichern - was wieder zu Komplikationen führen kann, gibt es doch pro Zug maximal zwei Rollstuhlplätze.

In ihrer langjährigen Reiseerfahrung meint die Salzburgerin Magdalena Scharl von der Wiener Behindertenberatung Bizeps sei es schon vorgekommen, dass man ihr einen "Rollstuhlplatz" im Gepäckwagen angeboten hat oder sie einfach auf der Plattform zwischen den Wagons stehenließ.

Selbst eine Notwendigkeit wie ein barrierefreies WC bedeutet noch immer Luxus. Dazu gehört breiter Eingang, automatische Türschließe, geräumiger Innenraum mit genügend Haltegriffen in erforderlicher Höhe und einem Spiegel, der schwenk- oder verstellbar ist.

Geringe Sensibilität bei Reiseagenturen

Reisen mit Handicap scheint vielen Nichtbetroffenen voller Extrawünsche. Behinderte Menschen haben gelernt, es als eine Herausforderung ihres Improvisationsgeschickes zu sehen. Sie betrachten das Reisen als abenteuerliche Abwechslung in einem Leben, das ihnen viele Stunden und Minuten täglich für die Organisation des Alltags abverlangt.

Reiseagenturen wissen im Durchschnitt nichts von den Servicequalitäten, die für behinderte Menschen entscheidend sind. Eine Zimmertüre, die nicht einmal 80 cm breit ist, hinter der ein Heizkörper das Öffnen unmöglich macht, eine Badezimmertür, die nur nach innen geöffnet werden kann, ein Liftschalter, der vom Rollstuhl aus nicht erreicht werden kann.
Sehbehinderte Menschen brauchen ihre Assistenzhunde, hörbehinderte mehr Lichtsignale.

Reiseagenturen für spezielle Bedürfnisse
In Österreich gibt es eine einzige Reiseagentur, die sich auf Reisen für Menschen mit speziellen Bedürfnissen spezialisiert hat. Georg und Veronika Freund testen seit acht Jahren alle von ihnen angebotenen Destinationen selbst - ihre Häuser, ihre Verkehrsverbindungen, ihre Freizeitangebote. Dass Georgs Freund seit einem Autounfall selbst im Rollstuhl sitzt, hilft ihm dabei ebenso wie seine langjährige Erfahrung als Reisejournalist.

Zudem hat er als langjähriger und sehr erfolgreicher Behindertensportler fast alle Länder bei längeren Aufenthalten kennen gelernt. Die von ihm und seiner Frau geführte Agentur "AGR - Gemeinsam Reisen" wird trotz ihrer Spezialkenntnisse wenig in Anspruch genommen, vor allem weil für behinderte Menschen organisierte Reisen als teuer gelten. Zu unrecht, meint Freund, stehen die Kosten für den höheren Aufwand, die zusätzlich organisierten "helfenden Hände", Transportmittel oder Betreuungseinrichtungen in keinem Verhältnis zum Komfort, den man sich dadurch erwirbt oder zu den schlechten Erfahrungen, auf die man dadurch verzichten kann. Die meisten tatsächlich barrierefrei eingerichteten Hotels und Pensionen liegen heutzutage durchaus preislich in der Mittelklasse.

Auf den Rollstuhl und auf Assistenz angewiesene Menschen organisieren so Vieles in ihrem Alltag, dass sie ihre Reisen eher selbst als über Spezialagenturen buchen. Was ihnen dabei entgeht ist natürlich die Erfahrung vor Ort, die Georg und Veronika Freund etwa voraushaben.

Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonnentInnen können die Sendung "Moment" vom Dienstag, 19. Dezember 2006, 17:09 Uhr, zum Thema "Barrierefrei Reisen" nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.

Links
ÖBB - Barrierefreies Reisen
Postbus - Mobilität für alle Cliquen
Aktion Gemeinsam Reisen