Makro- und Mikrosoziologie

Zeitreise Wissenschaft

Der Mensch, die Gemeinschaft, die Gesellschaft. Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Soziologie seit dem 19. Jahrhundert. Auguste Comte, ein französischer Philosoph, prägte 1838 den Begriff Soziologie. Er sah in ihr die größte aller Wissenschaften.

Der französischer Philosoph, Mathematiker und Religionskritiker, Auguste Comte prägte im Jahr 1838 den Begriff "Soziologie". Vorerst sprach er von "sozialer Physik", sie war weder Geisteswissenschaft noch Metaphysik. Auguste Comte sah in der Soziologie die letzte und größte aller Wissenschaften. Er stellte sich vor, dass sie alle anderen Wissenschaften umfassen und eine Integration in ein vollständiges Ganzes schaffen würde.

Auf der Suche nach der Grundlage

Lange Zeit waren es vor allem Sozialphilosophen, die sich mit methodischen Fragen der Soziologie beschäftigten. Denn in der Philosophie war die Gesellschaftstheorie noch stark verankert, sie versuchte aufgrund von empirischer Forschung, der Erhebung von Daten und Statistiken eine beinahe naturwissenschaftliche Betrachtung auf das gesellschaftliche Leben zu bekommen. Man propagierte Gesellschaftsentwürfe.

In den Sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts kam es zu einer Auseinandersetzung über Methoden und Werturteile in den Sozialwissenschaften. Die Debatte wurde fälschlicherweise als Positivismusstreit bekannt. Auf der einen Seite standen Karl Popper und sein Kritischer Realismus, auf der anderen Seite Theodor Adorno und Jürgen Habermas von der Frankfurter Schule, die die Kritische Theorie vertraten. Ein endgültiges Ergebnis gab es nicht. Der Streit ist ausgelaufen, prägte dabei aber noch die Siebziger und Achtziger Jahre. Seitdem gibt es keine Grundlagendebatte mehr, so der Grazer Soziologe Gerald Angermann-Mozetic. Die Forschungspraxis wurde unbekümmert.

Studenten, Umwelt und Arbeitsmarkt

Während der 1968er-Bewegung kam es im Zuge des antiautoritären Protests zu einer Selbstaufklärung der Gesellschaft. Studenten, Schüler und Jugendliche wandte sich gegen traditionelle, kulturelle, moralische und gesellschaftspolitische Wertvorstellungen. Im Zuge dessen entstanden die Neuen Sozialen Bewegungen. Sie kritisierten die kapitalistische Gesellschaft, die die natürlichen Ressourcen der Erde verschwendet. Zu ihnen gehörten neben der Frauenbewegung auch die Ökologie- und Anti-Atomkraft-Bewegung. Politisch mündeten diese Strömungen in den Achtziger Jahren in der Umweltbewegung und in den ersten Grünen Parteien.

Ein weiteres Thema, das die Soziologie seit den Achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts beschäftigt, ist der Arbeitsmarkt. Nach den Sechziger und Siebziger Jahren, in denen beinahe Vollbeschäftigung herrschte, kam es seit den Achtziger Jahren zu kontinuierlich steigenden Zahlen von Arbeitslosen. Die Soziologie beschäftigte sich seither verstärkt mit Fragen des Arbeitsmarktes.

Risiko und Individualisierung

Im Lauf der Zeit ging die große Gesellschaftsanalyse, die Makrosoziologie, verloren. Stattdessen behandelte die Soziologie schon seit den Siebziger Jahren verstärkt kleine Teilbereiche. In der so genannten Mikrosoziologie unterscheidet man Bereiche wie Industriesoziologie, Berufssoziologie, Risikosoziologie, Friedens- und Konfliktforschung, Militärsoziologie, Familiensoziologie, Gemeinde- und Stadtsoziologie, Kunstsoziologie und so weiter.

Im Jahr 1986 machte der Münchner Soziologe Ulrich Beck den Versuch, wiederum ein Phänomen zu beschreiben, das die ganze Gesellschaft betraf, und veröffentlichte das Buch "Die Risikogesellschaft". Dieser Begriff wurde umgehend zu einem geflügelten Wort und es hält sich bis heute. Für Ulrich Beck gibt es "naturwissenschaftliche Schadstoffverteilungen" und "Soziale Gefährdungslagen" wie zum Beispiel Arbeitslosigkeit. Die Klassengrenzen heben sich langsam auf - denn Risiken gibt es für alle: Radioaktivität und Smog machen vor Klassengrenzen genauso wenig halt wie Arbeitslosigkeit.

Parallel dazu kommt es zu einer Individualisierung der Gesellschaft. Traditionelle, industriegesellschaftliche Lebensformen wie Klasse, Schicht, Geschlechtsrollen, Familie lösen sich auf. Jedes Individuum muss seinen eigenen Alltag, seinen Lebenslauf, seine Biografie selbst inszenieren. Klassenschicksale gibt es nicht mehr, nur noch Einzelschicksale. Jeder muss für sein eigenes Leben die Verantwortung übernehmen.

Themen der Zukunft

Neben Detailfragen wird die Soziologie in den nächsten Jahren weiterhin Beiträge zu dauerhaft brennenden Themen wie Migration, Arbeitsmarkt, Bildung, Globalisierung, Machtverteilung, europäischer Identität und Überalterung liefern müssen.

Hör-Tipp
Salzburger Nachtstudio, Mittwoch, 3. Oktober, 21:01 Uhr