Kabinettstücke der Opernkunst

Elisabeth Höngen

"Die größte Tragödin der Welt" schrieb Karl Böhm über Elisabeth Höngen in sein Tagebuch. Böhm war es auch, der sie nach Wien holte. Diese Stadt war für sie Liebe auf den ersten Blick. In Wien spielte nach dem Zweiten Weltkrieg in über 40 Rollen.

Als Karl Böhm am Beginn seiner ersten Direktionsära im Kriegsjahr 1943 eine Verdi-Woche ansetzte - immerhin gedachte man damals ja des 130. Geburtstages von Giuseppe Verdi - begann er diesen Zyklus mit einer Neuinszenierung von "Macbeth".

Die Lady verkörperte darin Elisabeth Höngen, ein quasi Mitbringsel aus seinen Dresdener Direktionsjahren.

Großes Lob von Böhm

"Die größte Tragödin der Welt" schrieb Böhm nach dieser Premiere in sein Tagebuch und vergaß dabei sogar, dass diese Produktion in Bezug auf die Titelrolle selbst unter keinem so günstigen Stern gestanden war.

Paul Schöffler sollte den Macbeth singen, musste nach einer Vorstellung jedoch auf- und an Hans Hotter weitergeben, doch auch dieser scheiterte mehr oder weniger an dieser heiklen Partie und wurde schließlich durch einen weiteren Dresden-Import ersetzt: durch den bereits dort als Verdi-Bariton gefeierten Mathieu Ahlersmeyer, der sich als absolute Idealbesetzung erwies und der Höngen ein kongenialer Partner war.

Aufnahme von großer Intensität

Mit diesem Duo wurde wenig später die ganze Oper auch vom Reichssender Wien aufgezeichnet und (trotz deutscher Sprache) von den Amerikanern nach Kriegsende und Einführung der Langspielplatte sofort veröffentlicht.

Natürlich handelt es sich dabei um eine nach heutigen Gesichtspunkten stilistisch anfechtbare Produktion, in ihrer Intensität aber kann sie auch sechs Jahrzehnte später den meisten Einspielungen unserer Zeit durchaus Paroli bieten.

Studium bei legendärem Pädagogen

Elisabeth Höngen wurde vor 100 Jahren geboren, am 7. Dezember 1906 in Gevelsberg, einer Industriestadt im westfälischen Sauerland. Schon als Kind zeigte sie große musische und darstellerische Begabung, sie spielte mehrere Instrumente und war fasziniert, wenn sie sich verkleiden, in andere Figuren schlüpfen konnte.

Gesang studiert hat sie in Berlin bei Hermann Weißenborn, einem legendären Pädagogen, zu dessen Schülern unter anderem auch Joseph Schmidt, Dietrich Fischer-Dieskau und später sogar noch Edda Moser gezählt haben.

Wuppertal - Düsseldorf - Dresden - Wien

Ihr Bühnendebüt absolvierte die Höngen in Wuppertal und dort hat sie gleich viele ihrer berühmten Rollen erstmals gesungen: Lady Macbeth, Amneris, Eboli und so weiter. Nach zwei Jahren Wuppertal gelangte sie nach Düsseldorf und schließlich nach Dresden, wo damals Karl Böhm Direktor gewesen ist. Er holte sie später auch nach Wien und diese Stadt war für sie sofort Liebe auf den ersten Blick.

Rund drei Jahrzehnte war sie Mitglied der Staatsoper, ist ebenso an der Volksoper aufgetreten und galt parallel dazu als eine der ersten Konzert- und Liedersängerinnen ihrer Zeit, mit einem großen Bezug auch zur Moderne.

Wien blieb die Höngen auch nach Beendigung ihrer Karriere treu, die sie in alle großen Musikzentren der Welt geführt hat, einschließlich MET, Covent Garden, Scala und Bayreuth.

Kabinettstücke der Opernkunst

Wirft man einen Blick in die Staatsopernstatistik, so findet man allein in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg an die 1.000 Vorstellungen in über 40 Rollen, darunter 50 mal Amneris, 30 mal Eboli, 29 mal Carmen, 50 mal Herodias, 50 mal Klytämnestra, 58 mal Stimme der Mutter, 117 mal Marcellina im Figaro - die Höngen war sich selbst für kleinere Rollen nie zu gut und konnte auch aus solchen wahre Kabinettstücke modellieren.

Am 5. August 1997 ist Elisabeth Höngen in Wien gestorben.

Hör-Tipp
Apropos Oper, Dienstag, 12. Dezember 2006, 15:06 Uhr

Link
Wiener Staatsoper