Warum nur Neues uns glücklich macht
Satisfaction
In seinem Buch "Satisfaction. Warum nur Neues uns glücklich macht" erkundet Gregory Berns die Wege, auf denen Menschen versuchen, über den Kick des Neuen Befriedigung zu erlangen, und erklärt, was sich dabei im Gehirn abspielt.
8. April 2017, 21:58
Mick Jagger und die Rolling Stones sind nicht die einzigen, die sie gesucht und nicht gefunden haben: die Befriedigung. Wir alle sehnen uns danach, ein befriedigtes Leben zu führen. Die Probleme fangen allerdings schon bei der Frage an, was es denn überhaupt ist, was uns am meisten zufrieden macht. Ist es Sex? Ist es Geld? Ist es Status? Weit gefehlt, meint der amerikanische Verhaltensforscher und Neurowissenschaftler Gregory Berns: Das, was uns wirkliche Befriedigung verschafft, ist der Reiz des Neuen und Unbekannten. Neue Herausforderungen zu meistern, erfüllt uns mehr als alles andere in der Welt, ist Berns überzeugt.
Anders als andere Gefühle wird uns Befriedigung nicht einfach geschenkt. Wir müssen etwas dafür tun, und dazu brauchen wir zunächst die nötige Motivation. Bis vor kurzem haben die meisten Wissenschaftler angenommen, dass wir vor allem durch das Lustprinzip motiviert werden. (...) Seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts kommen Neurowissenschaftler dem Rätsel der Befriedigung auf die Spur, und was sie bislang herausgefunden haben, hat mit dem Lustprinzip nicht allzu viel zu tun.
Motivation dank Dopamin
Vergessen Sie also Freud, meint Berns. Der Schlüssel zur Motivation liege vielmehr im Neurotransmitter Dopamin, einer chemischen Verbindung, die in einer kleinen Gruppe von Gehirnzellen in der Hirnanhangdrüse und im Hirnstamm gebildet wird. Da Dopamin vor allem bei Tätigkeiten ausgeschüttet wird, die als angenehm empfunden werden - etwa beim Essen, Trinken oder beim Sex -, galt der Neurotransmitter bis in die 1990er Jahre als eine Art Luststoff des Gehirns.
Allerdings wird Dopamin auch bei unangenehmen Erfahrungen - etwa bei lauten Geräuschen - ins Gehirn abgegeben. Und: Genauere Untersuchungen haben gezeigt, dass Dopamin schon vor guten oder schlechten Erfahrungen im Gehirn freigesetzt wird. Es ist also allein schon die Erwartung des Neuen, die zur Ausschüttung von Dopamin führt.
Der richtige Cocktail
Auf dem Weg zur Befriedigung kommt noch eine zweite chemische Schlüsselsubstanz ins Spiel: das Stresshormon Cortisol. Erst wenn Dopamin und Cortisol zusammenwirken, entsteht ein tiefes Gefühl der Befriedigung, so Gregory Berns. Nicht nur Neuheit, sondern auch ein gewisses Maß an Stress sei daher für Befriedigung notwendig. Kein Wunder also, dass der Weg zu echter Zufriedenheit über Mühen und Anstrengungen führt. Läufer etwa kennen diesen Effekt vom berühmten "Runners High", jenem Zustand während des Laufs, in dem Müdigkeit und Erschöpfung plötzlich wie weggeblasen scheinen.
Laut Berns ist es der richtige Mix von Dopamin und Cortisol, auf den es ankommt. Aber befriedigt uns diese Erkenntnis bei unserer alltäglichen Suche nach Zufriedenheit? Auch Berns waren die Labortests, in denen er versuchte, mittels Magnetresonanztomografie die Veränderungen in jenen Hirnregionen zu messen, in denen Dopamin freigesetzt wird, letztlich zu wenig.
Um zu verstehen, was Menschen im Alltag tun, um Befriedigung zu finden, hat er sich auf eine lange Entdeckungsreise begeben. Die Berichte von dieser Reise ergeben ein buntes Bild: Berns spielt den teilnehmenden Beobachter bei einem amerikaweiten Kreuzworträtselwettbewerb, lässt sich von einem Haubenkoch in neue Dimensionen des Genusses einführen und besucht mit seiner Frau Kathleen einen Sadomaso-Club, um dem Zusammenhang zwischen Schmerz und Befriedigung auf die Spur zu kommen. Er folgt den Teilnehmern eines Ultramarathons auf ihrem Lauf durch eine Gebirgswüste und versucht zu ergründen, was Menschen antreibt, 100 Meilen in weniger als 24 Stunden zu laufen. Er lernt neue intellektuelle und körperliche Herausforderungen kennen, aber auch die Gefahren, die in der ständigen Suche nach dem Neuen liegen.
Berns' Selbstversuche
Konsequenterweise endet Berns' Suche nach dem Neuen im ehelichen Schlafzimmer. Er erkundet im Selbstversuch Wege, wie Paare es schaffen können, auch zu zweit Neues zu erleben - und findet für sich heraus, dass diese Erfahrung befriedigender als alle anderen ist. Ein wenig relativiert er dadurch auch seine Ursprungsthese, wonach die Essenz der Befriedigung im Gehirn liege. Neue Erfahrungen, die Dopamin und Cortisol freisetzen, seien zwar der sicherste Weg zur Befriedigung, doch das alleine reiche nicht aus: Erst wenn wir unsere Erfahrungen anderen anvertrauen, festigen wir sie, und die Befriedigung wird größer.
Mit "Satisfaction" wollte Gregory Berns ein Buch schreiben, das von üblichen akademischen Darstellungsformen abweicht und Wissenschaft in Form einer gut erzählten Geschichte an ein breites Publikum vermittelt. Sein erster Versuch in diesem Genre ist jedoch nur zum Teil gelungen: Berns' Fallbeispiele lassen für sich genommen nicht immer den Dopaminspiegel in die Höhe schnellen: Dass etwa Geld allein nicht glücklich macht, dürfte mittlerweile Allgemeingut sein. Trotzdem versteht er es, mit seiner facettenreichen und farbigen Schilderung der menschlichen Suche nach der Befriedigung, spannende Querverbindungen herzustellen und zum Weiterdenken anzuregen.
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Download-Tipp
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Buch-Tipp
Gregory Berns, "Satisfaction. Warum nur Neues uns glücklich macht", aus dem Englischen übersetzt von Jürgen Neubauer, Campus Verlag, ISBN 3593379104