Wer überleben will, muss investieren

Die EU-gerechte Alm

Das Klischee von der Alm, auf der es keine Sünde gibt, hat ausgedient. Die Europäische Union verordnete inzwischen strengste Hygiene-Normen - ob es den Betroffenen passt oder nicht. Das Leben in den Bergen hat sich also verändert.

Gegen den EU-Strom - der Senner und Alpliterat Sepp Kahn

Rund 9.500 Almen werden noch in Österreich bewirtschaftet. Auf die Bewirtschafter kamen in den vergangenen Jahren gewaltige Investitionen zu. Wer finanziell nicht mitzog, war zum Scheitern verurteilt.

Das Klischee von der Alm, auf der es keine Sünde gibt, hat jedenfalls ausgedient. Vor allem bei den EU-Hygiene-Richtlinien seien die Anforderungen enorm gestiegen, bestätigt auch Johann Jenewein vom Land Tirol.

Auf der Tritsch-Alm

"Scheiße!“ Hans muss nicht lange überlegen, was er von der EU hält, "aber man nimmt halt alles hin!“ Er ist seit zwölf Jahren Senner auf der Tritsch-Alm in 1.700 Meter Höhe, über dem schicken Wintersportort St. Anton gelegen. Bei der Agrarreform müsse man aber auch den Bauernbund "bei der Nase nehmen“. Sie hätten Zeit gehabt, um anzusuchen, "dass wir unser Holz brauchen, unseren Kaskeller ohne Fließen!“ Aber da sei man sich "zu nobel“ gewesen, sprudelt es aus dem Senner heraus.

Die Alm-Tradition auf der Tritsch geht bis ins Jahr 1642 zurück. Das alte Holzfass zur Butterherstellung steht auf der Tritsch heute aber hinter der Hütte. Es hat seit der Sanierung der Alm-Wirtschaft abgedankt. Alles musste die EU Hygiene-Vorschriften erfüllen. Die Sennhütte wurde um 107.000 Euro saniert. Jetzt herrscht hier Nirosta.

Hygiene pur

Hans und der Alm-Meister Ludwig Nigg führen in die Milch-Kammer und die Käserei: ein heller Bereich, ungefähr 30 Quadratmeter groß, alles verfließt, Edelstahl, Gummi, polierte Installationen, Behälter aus Plastik, ein großer, neuer, glänzender Käse-Kessel: "Für mich hat der Umbau nur Vorteile gebracht“, gibt Hans zu. "Es ist eine Erleichterung an der Arbeitsstelle!“

Alle Flächen hier sind so akribisch sauber, dass man sich drin spiegeln kann. Nach jedem Wenden und Waschen von den Käsen und nach jedem anderen Handgriff auf den Nirosta-Tischen wäscht sich Hans die Hände. Die fertigen Käse-Laibe reifen in einem gekühlten Lager. Hier hat man auf der Tritsch auch versucht, jedes Risiko auszuschließen und Nirosta-Ablagen eingebaut.

Der 55-jährige Hans hat sich in Rotholz, einer landwirtschaftlichen Lehranstalt, über die EU-Richtlinien zur Käseproduktion weiter gebildet. Viele seiner Kollegen äußerten anfangs Skepsis, ob seine Käse gelingen würden: "Ich hab gleich gesagt, das ist eine super Sache, und es hat auch super hin gehaut!“ Die Melk- und Kühlmaschine betreibt Hans mit einem eigenen Kraftwerk. Das produziert 27 Kilowatt.

Wellness als Überlebensversuch

"Wer überleben will, muss finanzieren!“ dachte sich auch Karl Peer. Seine Peer-Alm wurde zur Wellness-Alm und damit zur Oase für müde Wanderer. Für 10.000 Euro wurde umgebaut.

Jetzt gibt es eine Wellness-Hütte verziert mit Schnitzereien und einem indianischen Traum-Fänger. Auf der Weide steht ein Marterpfahl. Und in der Badewanne gibt es jetzt warmes Wasser. Aber nicht nur Wasser: Ein Bad aus frischer Molke sorge nicht nur für Erholung, versichert der Hüttenbesitzer Peer. Auch in Honig oder Heu kann man auf der Peer Alm baden. Und eine spezielle CD soll zu noch mehr Ruhe verhelfen: "Vom Muh zum Ohm“ sei bei Mitternacht im Kuhstall aufgenommen worden und laufe jetzt während den Behandlungen, erklärt Peer.

Die Alpin-Wellness kostet rund 20 Euro pro Behandlung. An Nachfrage fehlt es nicht. Das jedoch, was auf der Peer-Alm mit der Alpin-Wellness verdient wird, ist nichts im Vergleich zu den großen Wellness-Tempeln in den Touristen-Orten. Auch mit neuen Ideen haben viele Almbewirtschafter kaum eine Chance zu überleben.

Hör-Tipp
Journal-Panorama, Donnerstag, 19. Oktober 2006, 18:25 Uhr

Download-Tipp
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Buch-Tipps
S. Kahn, "Almtagebuch. Heiteres und Kritisches zu Almleben, EU und Weltgeschehen", Berenkamp Verlag, ISBN 3850931765

S. Glatz, G. Egger, D. Bogner, S. Aigner und W. Ressi, "Almen erleben - Wert und Vielfalt der österreichischen Almkultur", Umweltbüro Klagenfurt, KVERLAG Klagenfurt, ISBN 3853912400

Veranstaltungs-Tipp
Salzburger Almbauerntag: Jahresversammlung des Almwirtschaftsvereins und Almleute-Ehrungen für den mittleren und unteren Pinzgau, 5. November 2006, Gasthof Schörhof in Saalfelden

Links
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Peer Alm