Erlesene Beispielhaftigkeit
Thielemanns "Ring des Nibelungen"
Im Zentrum der Bayreuther Festspiele stand die Neuproduktion des "Ring". Regisseur Tankred Dorst musste Kritik einstecken, viel Lob gab es für die musikalische Umsetzung unter Christian Thielemann. Ö1 setzt die Tetralogie mit der "Walküre" fort.
8. April 2017, 21:58
Für eingefleischte Wagnerianer gäbe es nichts Schlimmeres: Werke anderer Komponisten und sogar Uraufführungen im Bayreuther Festspielhaus. Die als mögliche Leiterin der Bayreuther Festspiele gehandelte Nike Wagner, Tochter des legendären Wieland Wagner, hat mit solchen Ideen die Wagner-Gemeinde erschreckt.
Dann doch lieber eine andere Urenkelin des großen Meisters an der Spitze des Festivals: Katherina Wagner, Tochter des derzeitigen Festspielchefs und nicht ganz unumstrittene Jung-Regisseurin, die 2007 erstmals auch in Bayreuth inszenieren wird. Sie könnte sich vorstellen, auch die von Wagner selbst als Jugendsünden abgeurteilten Frühwerke zur Diskussion zu stellen, aber doch zumindest - Erleichterung bei den Wagnerianern! - bei Werken des Meisters zu bleiben.
Bayreuther Kanon
Einstweilen sind solche Überlegungen aber ohnedies hinfällig, denn der 87-jährige Wolfgang Wagner, seit 1967 allein an der Spitze des Unternehmens, scheint nicht gewillt, einem Nachfolger zu weichen - also bleibt es auch vorerst auf dem "Grünen Hügel" beim "Bayreuther Kanon", der regelmäßigen Neuproduktion der Wagner-Dramen vom "Fliegenden Holländer" bis "Parsifal".
Im Zentrum der diesjährigen Bayreuther Festspiele stand die Neuproduktion des monumentalsten Wagner-Werks: "Der Ring des Nibelungen" - von vielen Regisseuren ebenso gefürchtet wie von Theaterleitern, die das ungemein fordernde, komplexe vierteilige Werk gerne - wie auch beim künftigen neuen Wiener "Ring" - auf mehrere Spielzeiten aufteilen.
Tankred Dorst als Regie-Einspringer
Ausgerechnet einem Debütanten als Opernregisseur wurde es in Bayreuth anvertraut, in jenem Haus, das der Komponist eigens für eine Aufführung des "Rings" hat errichten lassen: dem 80-jährigen Literaten Tankred Dorst, der zudem für einen anderen Regisseur eingesprungen war, somit für das 16-stündige Opus nur eine eingeschränkte Vorbereitungszeit zur Verfügung hatte.
Ist dieses Wagnis geglückt? Kaum, folgt man den Kritikermeinungen: "Am dritten Abend der Bayreuther 'Ring'-Inszenierung werden alle zuvor genährten Hoffnungen auf eine neue, interessante, ja, überhaupt auf eine Deutung begraben. Dorsts Ausgangsidee, die Götterwelt 'an den Rändern unserer Zivilisation' existieren zu lassen und so vom Weiterwirken des Mythos in unserer Zeit zu erzählen, hat sich nun scheinbar vollends ins Nichts aufgelöst", urteilte Julia Spinola in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
"Inszenierung unfertig"
Ähnliches war auch aus der Feder von "Focus"-Redakteur Gregor Dolak zu lesen: "Das Regiekonzept, Wagners Mythenmärchen in der realen Gegenwart zu verorten, erweist sich als gute Idee, der noch weitere folgen müssten und die konsequent ausgearbeitet gehörte.
Aber genau davon kann nicht die Rede sein: Die Inszenierung erscheint im Wesentlichen unfertig und handwerklich ungenau ausgeführt. Dorsts erste Opernregie wird zur 'Dorst-Strecke' für die Zuschauer."
Viel Lob für Thielemann
Für die meisten Kritiker fehlte es bei diesem "Ring" an dramaturgischer Schlüssigkeit und an gestaltender Personenführung, dafür waren sich aber die Berichterstatter - bei sehr viel Lob für das Ensemble, in dem es nur wenige Schwachstellen gab - in einem Punkt nahezu widerspruchslos einig: Christian Thielemann ist "der" Wagner-Dirigent unserer Zeit, seine Interpretation der Tetralogie von erlesener Beispielhaftigkeit.
"Transparenz, Durchhörbarkeit der komplexen Partitur, hohe Genauigkeit im Detail und perfekte Kontrolle der Dynamik gehen über alles", lobte der "Spiegel", und in der "Zeit" war zu lesen: "Der neue 'Ring' ist die Stunde des Dirigenten. Christian Thielemann, erneut mit donnerndem Applaus bedacht, führte das sehr konzentriert musizierende Festspielorchester zu einer schwelgerischen Auslegung der Wagner'schen Musik, ließ sie funkeln, vermittelte Spannung und Dramatik."
Mehr noch subsumierte der Kritiker von "FR online": "Als 'Thielemann-Ring' könnte diese Produktion in die Geschichte eingehen und damit als 'Ring', bei dem das rein Akustische alles Szenische dominiert."
Hör-Tipps
Richard Wagner, "Die Walküre", Samstag, 14. Oktober 2006, 19:30 Uhr, Aufzeichnung von den Bayreuther Festspielen
Mehr dazu in Ö1 Programm
Richard Wagner, "Siegfried", Samstag, 11. November 2006, 19:30 Uhr, "Götterdämmerung" folgt im Dezember
Mehr zu Bayreuth in Ö1 Inforadio und oe1.ORF.at
Bilanz des Bayreuther "Ring"
"Rheingold"-Premiere in Bayreuth
"Das Rheingold" in Bayreuth
Tankred Dorst über Mythen und Sagen
"Ring"-Regisseur Dorst "überrascht"
Links
Bayreuther Festspiele
Wikipedia - Rheingold
Richard Wagner Werkstatt - "Rheingold"-Textbuch mit Leitmotivangaben