Nationalsozialismus und Architektur - Teil 2

Wider den Mythos der KdF-Propaganda

Eine Nürnberger Ausstellung über das Nazi-Seebad Prora will mit den Mythen zu den sozialen Seiten des NS-Regimes aufräumen. Anders als beim ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg gibt es in Prora keine zeitgemäße architektonische Auseinandersetzung.

Das Nürnberger Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände zeigt ab Freitag, dem 15. September 2006 eine Ausstellung über das Nazi-Seebad Prora auf der Ostseeinsel Rügen. Die rund fünf Kilometer lange, gigantische Anlage gilt für den Leiter des Dokumentationszentrums, Hans-Christian Täubrich, als das Kernstück der "Kraft durch Freude"-Propaganda. Die Sonderausstellung will mit dem Mythos von den angeblich guten Seiten des "Dritten Reiches" aufräumen. "Prora diente eindeutig der Kriegsvorbereitung", betont Täubrich.

Nach der so genannten "Machtergreifung" 1933 hatten die Nationalsozialisten die verfolgten und verbotenen Arbeitervereine und Gewerkschaften durch die Deutsche Arbeitsfront ersetzt. Unter dem Titel "Kraft durch Freude" wurden Feierabend-Events, Ausflüge, Urlaubsreisen und Kreuzfahrten organisiert, um die Menschen auch in der Freizeitgestaltung kontrollieren zu können und die "arische Volksgemeinschaft" zu stärken. Obwohl für die Mehrzahl der Arbeiter unerschwinglich, verkauften die Nazis mit den Kreuzfahrten die Illusion eines sozialen Aufstiegs und täuschten über sinkende Löhne und längeren Arbeitszeiten in Zeiten der Aufrüstung hinweg.

Doppelnutzung von Haus aus angelegt
Das "KdF-Seebad der Zwanzigtausend" sollte nach dem Willen der Nazis der Erholung Zehntausender dienen und "die Nerven des Volkes" im Hinblick auf den nächsten Krieg stählen. Bereits bei den Planungen des Seebades Prora in den Jahren 1935 und 1936 wurde berücksichtigt, den Komplex im Kriegsfall zum Lazarett umfunktionieren zu können.

In weniger als zwei Jahren wurde die Erholungsanlage an der Küste hochgezogen. In Betrieb ging sie wegen des Kriegsbeginns 1939 nie. Stattdessen wurden dort Polizisten ausgebildet, Flüchtlinge und Ausgebombte untergebracht und ein Lazarett eingerichtet. Zu Zeiten der DDR diente es der Nationalen Volksarmee als Kaserne. Inzwischen steht der denkmalgeschützte Komplex weitgehend leer.

Ein Beispiel an Nürnberg nehmen
In Prora habe sich der Nazi-Mythos in ähnlicher monumentaler- architektonischer Weise wie in Nürnberg manifestiert, sagt Täubrich. Während das Reichsparteitagsgelände ein Symbol für die Propagandaveranstaltungen der Nazis ist, stehe das Seebad "für die soziale Demagogie des Dritten Reiches". Die Wirkung der Architektur verbinde die Anlagen in Prora und Nürnberg.

Doch während in Nürnberg mit dem vom österreichischen Architekten Günter Domenig entworfenen Doku-Zentrum ein Vorbild für den Umgang mit Nazi-Altlasten geschaffen wurde, scheiterten ähnliche Vorhaben in Prora und anderen Gedenkstätten bislang an den leeren Kassen des Bundes.

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Veranstaltungs-Tipp
Ausstellung "Das 'Paradies' der 'Volksgemeinschaft' - Das KdF-Seebad in Prora", 15. September 2006 bis 30. November 2006, Nürnberger Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände

Links
Rügen - KdF-Bad Prora
Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände
Dokumentationszentrum Prora