Die Sprache und das Unbewusste

Metamorphosen des Signifikanten

Der Lacanianer Peter Widmer ist als Psychoanalytiker in Zürich tätig und unterhält diverse Gastprofessuren. Ihn interessieren Bereiche, die Lacan selbst nur wenig bearbeitet hat. Soeben erschien sein neuestes Werk "Metamorphosen des Signifikanten".

"Das Ich ist das Andere", formulierte der vor 25 Jahren am 9. September 1981 in Paris gestorbene Jacques Lacan. Dieses Andere lernt der Mensch durch das Spiegelbild, das er in der Zeit zwischen dem 6. und 18. Lebensmonat wahrnimmt, wenn das Kleinkind vor den Spiegel gehalten wird. In diesem Anderen des Spiegelbildes entdeckt sich das werdende Subjekt.

Das Spiegelstadium, dessen Entdeckung für eine der größten und fundamentalen Leistungen Lacans gehalten wird, ist die Geburtsstunde des psychischen Ichs. Diese Entdeckung des eigenen Bildes begründet gleichzeitig auch das Imaginäre: es führt zu einer Identifizierung mit dem Körper an einem Ort, an dem er nicht ist.

"Unbewusste strukturiert wie eine Sprache"

Die Gesetzmäßigkeiten der Sache, wie sie die Sprachtheorien Ferdinand de Saussure und Roman Jacobson entdeckt haben, gelten auch für die bewussten und unbewussten Äußerungen des psychischen Ich. Sie beruhen auf Wechselbeziehungen und -wirkungen zwischen dem Signifikat, dem Bezeichneten, und dem Signifikant, dem Bezeichnenden.

Die Struktur des Unbewussten genügt einer symbolischen Ordnung, der Ordnung der Sprache, der staatlichen Herrschaft, des Diskurses. Lacan nützt dieses Symbolische für die psychoanalytische Behandlung. Der Auslotung des psychischen Raumes in der Beziehung der Trias Imaginäres, Symbolisches und Reales widmete er sein Schaffen.

Die Sprache des Körpers
Peter Widmer ist Lacanianer, Pychoanalytiker in Zürich. Ihn interessieren Bereiche, die Lacan nur wenig bearbeitet hat, beispielsweise die Deutung der Sprache der Hände. Die Hand ist zum Greifen da, das Wort steckt aber auch in dem Begriff Behandlung. In der (therapeutischen) Arbeit mit Plastilin erweist sich in der Formung von Figuren die Möglichkeit, etwas körpernah und dennoch auch vom Körper getrennt zu sehen: Die Sprache der Hände ist weder Körper noch abgetrennt vom Körper.

Bildzeichen, Sprache und Subjekt
Widmer gewann bei Lehraufenthalten in Japan einen neuen Bezug zum Bildzeichen. Die Schriftzeichen im Japanischen und Chinesischen haben einen sehr speziellen Bezug zur Sprache, in dem sich Gegebenheiten manifestieren, die in diesen Kulturen ganz selbstverständlich sind. Diese Zeichen kommen nicht von Abbildungen sondern sind Ausprägungen von Subjekten, die sich auf eine bestimmt Weise mit der Welt auseinandersetzen.

Diesen Spuren nachzugehen und Bezüge herzustellen zwischen dem Spiegelstadium, den Metaphern des Ichs und den Zeichen des Chinesischen und Japanischen, ist eine Aufgabe, der sich in der Nachfolge Lacans bereits eigene Arbeitsruppen widmen.

Raum zwischen Spiegel und Subjekt
Wichtig ist die Entdeckung, dass das Spiegelstadium nicht nur die Entdeckung des eigenen Bildes ist, sondern dass sich zwischen dem Spiegel und dem Subjekt ein erster Raum auftut, der sich immer stärker aufweitet. Am seinem Ende ist der Horizont als Grenze des Spiegelstadiums. Hinter dem Horizont ist das Reale: Das Subjekt schafft sich mit Hilfe des Imaginären und Symbolischen eine Welt, die vom Horizont begrenzt wird.

Um dies zu sagen, benötigt das Ich eine eigene Position, den Körper. Um etwas davon zu wissen, muss dieser Körper wieder zu einem Objekt gemacht werden. Widmer zeigt, wie die gesamte Wahrnehmung vom Spiegelstadium ausgeht, dann vom Gesicht und Körper auf das Andere übertragen wird:

Wenn wir andere Menschen treffen, messen wir sie immer an früheren Erfahrungen, die letzten Endes wieder im Spiegelstadium münden. Die Fremderfahrung kommt immer dazu und erweitert die Welt des eigenen Narzissmus.

Hör-Tipp
Dimensionen, Donnerstag, 7. September 2006, 19:05 Uhr

Download-Tipp
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Buch-Tipp
Peter Widmer, "Metamorphosen des Signifikanten. Zur Bedeutung des Körperbilds für die Realität des Subjekts", transcript Verlag, ISBN 3899424670

Links
transcript Verlag - Metamorphosen des Signifikanten