Sex und Sex und noch mal Sex
Ist diese Familie eigentlich normal?
Das Familienporträt, das der peruanische Autor Santiago Roncagliolo in seinem zweiten Roman zeichnet, wirft viele Fragen auf. Vor allem die: Wieso ist sein erster Roman "Roter April", der mit höchsten Ehren ausgezeichnet wurde, noch nicht übersetzt?
8. April 2017, 21:58
"Abril Rojo" gilt als erster Roman von Santiago Roncagliolo. Das stimmt aber nur, wenn man seine Kinderbücher nicht mitrechnet. Es ist aber der Roman, der bislang am meisten Aufruhr erzeugt hat: Am 27. Februar 2006 wurde er mit dem "Premio Alfaguara de Novela", der immerhin rund 147.000 Euro wert ist, ausgezeichnet. Die Jury hob vor allem die "ausdrucksstarke Wirkung und dramatische Kraft, die den Leser von den ersten Seite an zu fesseln vermag", hervor. Der Autor war tief bewegt, verlor aber nicht die Fassung, wissen diverse Beobachter zu berichten.
"Meine Kontinuität ist der Bruch"
31 Jahre zählt Santiago Roncagliolo mittlerweile, und er hat schon eine Menge vollbracht: hat als Journalist und Übersetzer gearbeitet, hat mehrere Kinderbücher verfasst und verschiedene Drehbücher geschrieben. "Ich experimentiere gerne", kommentiert er. "Meine Kontinuität ist der Bruch."
Das lässt sich schon an seinem einzigen bislang auf Deutsch erschienenen Roman "Vorsicht", der im Original eigentlich "Pudor" - also "Scham" bzw. "Schande" - heißt, verifizieren. In kleinerem Maßstab halt, denn jede der handelnden Personen einschließlich dem geschlechtsreif gewordenem Kater wird in seiner eigenen Erlebnis- und Gedankenwelt geschildert. Diese Art des Erzählens bewirkt vor allem eines: Es zeigt die abgrundtiefe Einsamkeit, die jeden von jedem trennt.
Grundsätzliche Kommunikationsprobleme
Urbild aller kommunikationsgestörten Gemeinschaften ist auch für Santiago Roncagliolo die Familie. Weiß eine Mutter jemals, was in ihren Kindern vorgeht? Können Paare einander bis in die Seele schauen? Wollen Partner überhaupt verstanden werden, einander verstehen? Ist es wirklich bloß und allein der Alltag, der "das miteinander Reden" verhindert? Und weshalb fällt dieses Manko erst dann ins Auge, wenn es ein grundsätzliches Problem zu kommunizieren gilt, denn der Nachricht, dass einer der Ehepartner nur mehr sechs Monate zu leben hat, muss wohl allerhöchste Priorität zugeordnet werden.
Man möchte sich eigentlich schief lachen über diese ganz normale Familie, die irgendwo in einem Wohnblock in Lima lebt. Und doch bleibt einem das Lachen im Hals stecken. Und man fragt sich, wie Santiago Roncagliolo die Sache im "Roten April" angeht, wo es ihm darum geht, die Gründe bloßzulegen, die einen Menschen zum Terroristen und Mörder machen. "Avril Rojo" erzählt als Polit-Thriller vom Krieg zwischen der Armee und der kommunistischen Bewegung "Sendero Luminoso - Leuchtender Pfad", der während der Amtszeit von Fujimori in Peru tobte.
Hör-Tipp
Terra incognita, Donnerstag, 5. Oktober 2006, 11:40 Uhr
Buch-Tipp
Santiago Roncagliolo, "Vorsicht", Claassen Verlag, ISBN: 354600390x