Malapartes vergessener Nachkriegs-Bestseller
Die Haut
Letztes Jahr wurde Curzio Malapartes Roman "Kaputt" neu aufgelegt und sehr kontroversiell diskutiert. Dem eigentlichen Hauptwerk von Malaparte, dem Roman "Die Haut", der jetzt nachgereicht wird, ist mit einiger Wahrscheinlichkeit ein ähnliches Schicksal gewiss.
8. April 2017, 21:58
Der Mann hieß eigentlich Kurt Erwin Suckert und hatte einen deutschen Vater. Darüber, wie er zu seinem Pseudonym Curzio Malaparte kam, gibt es eine Anekdote, die zum Nettesten gehört, was sich über den martialischen Mann sagen läßt: Befragt, warum er sich denn nicht Bonaparte genannt habe, antwortete der Autor: Der einzige Grund dafür habe darin bestanden, daß dieser Name schon vergeben gewesen sei.
Ein Haus wie ich
Berühmt ist das Haus, das sich Malaparte Ende der 30er Jahre auf einer Klippe in der Nähe von Capri bauen ließ - "Casa come me", also "Ein Haus wie ich" hat er es programmatisch genannt. In Jean-Luc Godards Film "Die Verachtung" räkelt sich Birgitte Bardot auf der offenen Terrasse, zu der eine breite Treppenfront führt. Einige Jahre vorher soll Feldmarschall Rommel in der Casa Malaparte zu Gast gewesen sein: Auf die Frage des Ober-Nazis, ob der Autor das Haus selbst entworfen oder nur gekauft habe, antwortete dieser: Das Haus stehe schon immer hier, er selbst habe die Landschaft rundherum geformt.
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Während des Zweiten Weltkrieges verdiente Malaparte, der im Laufe seines Lebens ein glühender Faschist ebenso wie später ein Anhänger des Kommunismus war, sein Geld mit Frontberichten für den Corriera della Serra. Für sein Buch "Kaputt", das 1944 in Neapel erschien und innerhalb kürzester Zeit zu einem internationalen Millionenerfolg wurde, hat er diese Reportagen mit weiteren grausamen Details angereichert und mit einem stark anti-deutschen Grundton versehen. Im vergangenen Jahr erschien der Roman in einer Neuauflage im Wiener Zsolnay Verlag und wurde von der Kritik sehr kontroversiell diskutiert.
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Gegenstück zu Camus' "Die Pest"
Dem eigentlichen Hauptwerk von Malaparte, dem Roman "Die Haut", der jetzt nachgereicht wird, ist mit einiger Wahrscheinlichkeit ein ähnliches Schicksal gewiss. Im Jahr 1949 war das Buch, das nach der Intention des Autors eine Art Gegenstück zu "Die Pest" von Albert Camus sein sollte, in der italienischen Erstausgabe erschienen. Bis Mitte der 1950er Jahre brachte es die deutsche Übersetzung auf eine Auflage von mehreren 100.000 Stück, es war also auch dieses Buch ein wirklicher Nachkriegs-Bestseller, mittlerweile aber ist es so gut wie vergessen.
Italiens amerikanische Besatzung
Den Ansatzpunkt und damit auch das Hauptangriffsziel von "Die Haut" bilden anders als im Fall von "Kaputt" nicht die Deutschen, sondern die Amerikaner. Im Herbst 1943 landeten sie gemeinsam mit britischen Verbänden im Golf von Salerno, am 1. Oktober erreichten die ersten Truppen die Stadt Neapel. Die auf der Konferenz von Casablanca ausgehandelte und später erfolgreich umgesetzte Strategie bestand bekanntlich darin, Italien vom Süden her von Mussolini zu befreien.
In Malapartes Buch kommen die fremden Truppen von Beginn an wie eine Krankheit über die Stadt. Schon der erste Satz des Buches macht es klar, er lautet: "Es waren die Tage der 'Pest'". Das Wort Pest ist unter Anführungszeichen gesetzt. Gemeint ist nicht eine metaphysische Pest im Sinne von Camus, sondern die moralische Pest der allgemeinen Käuflichkeit, die die Sieger über die Besiegten brachten und die man in Neapel auch überall sehen konnte.
Korrumpierte Gesellschaft
Eines ihrer anschaulichsten Bilder bietet ein junges Mädchen, das allgemein "la vergine", also die Jungfrau, genannt wurde. Der Erzähler begleitet einen amerikanischen Hauptmann in die Elendsgassen der Stadt, um sich das Schauspiel vor Augen zu führen. Vor der Tür eines heruntergekommenen Hauses stehen Soldaten Schlange; sie zahlen einen Dollar und treten ein: Dort liegt ein junges Mädchen mit gespreizten Beinen und entblößter Scham auf einem notdürftigen Lager. Der Mann neben ihr, vermutlich ihr Vater, preist sie mit den Worten an: "She is a virgin, you can touch".
Den von den Siegern in ihrem ganzen Habitus sorgsam gehüteten Gegensatz zwischen ihrer eigenen Moral und der Unmoral der Besiegten erkennt Malaparte nicht an. Einer reichen Dame aus Amerika erklärt der Erzähler des Buches auf einer Abendgesellschaft geradewegs, dass sich die amerikanischen Frauen gegenüber Befreien, wie es die Amerikaner sind, um keinen Deut anders verhalten hätten als die neapolitanischen.
Abgehobener Kriegs-Dandy
Einer der Schlüsselsätze von Malapartes Buch faßt die Erkenntnis zusammen und verleiht ihr eine heute womöglich neue Aktualität: Rein moralisch gesehen, so meint der Autor, sei es nämlich viel einfacher, einen Krieg zu verlieren als einen zu gewinnen. So unanfechtbar diese Einsicht erscheint, so mühsam gestaltet sich in "Der Haut" zuweilen der Weg dorthin. Zum Missfallen des Lesers und wohl mehr noch: der Leserin ist und bleibt Malaparte nämlich von der ersten bis zur letzten Seite seines Buches ein ganz besonders abgehobener Kriegs-Dandy: Unerträglich ist über Strecken der unverkennbare Stolz des Mannes, noch die größten Schrecken mit der Gloriole seines eigenen Dabeigewesen-Seins versehen zu können.
Mich selbst hat diese abgebrühte Macho-Ästhetik - und ich gestehe es gern - weniger an die Heroen des italienischen Futurismus erinnert, bei denen Malaparte die eine oder andere Anregung nahm, sondern vielmehr an die Art und Weise, in der mir während meines Zivildienstes ein Wiener Rettungsfahrer die ganze Brutalität seiner Einsätze erklärte: Je mehr zerquetschte Leber auf der Straße liegt, desto mehr Anerkennung kommt den Blaulichtfahrern dafür zu, die blutigen Stücke einzusammeln. Auch wenn die Sache irgendwie logisch klingt: Fast wünschte man, sie verhielte sich hier und auch bei Curzio Malaparte umgekehrt.
Tipp
Einen prominenten Leser von Malapartes Roman "Kaputt" finden Sie hier
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Buch-Tipp
Curzio Malaparte,"Die Haut", Aus dem Italienischen von Hellmuth Ludwig, Mit einem Nachwort von Thomas Steinfeld, Zsolnay 2006, ISBN 3552053689
Link
Zsolnay - Die Haut