Ein von Komponisten begehrter Dichter
Brecht und die Musik
Seine Lieder und Theaterstücke sind heute weltweit für Künstler Vorlagen, die analysiert, gestaltet und neu gedacht werden: Bertolt Brecht, dessen 50. Todestag sich am 14. August jährt. Doch wie aktuell ist der Schnriftsteller heute noch?
8. April 2017, 21:58
Als gefeierter Avantgarde-Schriftsteller in Berlin nutzte Bertolt Brecht (1898-1956) die Macht der Musik als dramaturgisches Mittel. Seine Theaterfiguren kommentierten und reflektierten das Bühnengeschehen in Songs und Balladen.
Die Präzision seiner Sprache und sein Gefühl für Rhythmus und Wortklang machten ihn zu einem begehrten Librettisten. Komponisten wie Kurt Weill, Hanns Eisler, Paul Hindemith und Paul Dessau warben um den Dichter Brecht. Und Brecht wiederum suchte die Zusammenarbeit mit den Musikern. Und häufig brachte er den Komponisten zum Text seiner Balladen auch eine Melodie mit, die er in seiner eigenen Notenschrift - einem eigenen von ihm entwickelten System - verfasst hatte.
Einfluss Brechts auf Komponisten
Der Einfluss Brechts auf seine musikalischen Partner und die Mitarbeit der Komponisten an den Texten seien ein Forschungsfeld, das heute noch kaum bearbeitet sei, meint Jan Knopf von der Universität Karlsruhe.
Hit "Dreigroschenoper"
Das am Häufigsten gespielte Werk Brechts ist die "Dreigroschenoper", vertont von Kurt Weill. Der Uraufführung 1928 im Berliner Admiralspalast waren heftige Streitgespräche vorangegangen. Denn Kurt Weill maß der Musik eine größere Bedeutung zu als dem Wort. Eine Position, die der Dichter Brecht nicht akzeptieren konnte.
Begehrter Librettist der 1920er und 1930er
Die Kraft seiner Sprachbilder und sein Gefühl für Rhythmus und für den Klang der Worte machten Brecht zum begehrten Komponisten der 1920er und 1930er Jahre. Kurt Weill, aber auch Paul Hindemith baten Brecht um Texte zum Vertonen.
Denn Brechts Songs und Balladen hatten einen großen Vorzug - sie entstanden im Sprechen, wie der Berliner Musikwissenschaftler Albrecht Dümling erklärt: "Brecht geht vom Klang aus, der Klang der Sprache war wesentlich für ihn." So wurden zahlreiche Brecht-Texte vertont, zu denen Weill, Hindemith, Eisler und Dessau eine kongeniale Musik schufen. Diese Musik ist geprägt von der Ästhetik der Arbeiterkulturbewegung der 1920er und 1930er Jahre des 20. Jahrhunderts.
Ein Marktfaktor
Die Lieder und Theaterstücke von Bertolt Brecht sind heute für Künstler auf der ganzen Welt Vorlagen, die analysiert, gestaltet und neu gedacht werden. Brecht der Rebell und Sozialkritiker sei im internationalen Kulturleben ein Marktfaktor geworden. Was er durchaus als Dilemma verstehe, erklärt Komponist Michael Gros vom Berliner Ensemble.
Ist Brecht noch aktuell?
Ist Brecht heute noch aktuell, bieten seine Stücke exakte Analysen der gesellschaftlichen Verhältnisse? Die jüngste Brecht-Komposition für das Berliner Ensemble, zu der Gros die Musik schrieb, war Claus Peymanns Inszenierung von "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" im Jahr 2003. Für den Schauspieler, Regisseur und Autor Manfred Karge, der in dieser Produktion den Fleischherren Mauler spielte, der versucht, "ein guter Mensch zu werden" und gleichzeitig den Profit seines Unternehmens zu steigern, hat Brecht nichts an Aktualität verloren:
"Mauler ist für mich die interessanteste Figur, vielleicht die ambivalenteste. Man weiß ja bei ihm nie genau, was ist Kalkül und was ist Herz. Er ist ja nicht nur einer, der schaut, wie seine Geschäfte laufen, sondern auch einer, dessen herz bei seiner Begegnung mit Johanna berührt wird. Merkwürdigerweise kommt immer zum Schluss heraus, dass er auch geschäftlich wieder das Richtiger getan hat. Aber es erscheint nicht ständig als Kalkül. Er sieht auch dieses Elend und bedauert es auch."
Widersprüchliche Haltung zu USA
Geografischer Schauplatz der "Heiligen Johanna" sind die Fleischfabriken von Chicago. Brechts Haltung zu Amerika war widersprüchlich. Einerseits kritisierte er die USA als Hochburg des Kapitalismus, andererseits war er vor allem in seiner Jugend von der amerikanischen Kultur fasziniert. Es waren der Jazz, der Foxtrott und der Whiskey, denen der junge Poet Brecht im Berlin der 1920er Jahre nachjagte.
In den 1960er Jahren entdeckte der politische Flügel der Hippie-Bewegung das Autoren-Team Brecht/Weill. Und die US-Pop-Gruppe "The Doors" nahm 1967 Brechts Alabama-Song aus seiner Oper "Mahagonny" in ihr Repertoire auf.
Kontroversielle Sicht in den USA
Die Hochburg des Kapitalismus und des Kommerzes reagiert heute noch kontroversiell auf Bertolt Brecht. Von seinen Künstler-Kollegen verehrt, verfolgte schon 1949 die offizielle Politik Brechts politische Haltung. Und Brecht entkam nur knapp einer Verurteilung wegen antiamerikanischer Aktivitäten.
1997 veröffentlichte der Amerikaner John Fuegi eine Brecht-Biografie, die vor allem die US-Fangemeinde spaltete, wie Joachim Lucchesi, Musikwissenschaftler der Arbeitsstelle Bert Brecht an der Universität Karlsruhe erklärt.
Broadway-Hit "Dreigroschenoper"
Trotzdem ist Brecht in den USA nach wie vor ein gefeierter Bühnen-Autor. Die aktuelle Inszenierung der "Dreigroschenoper" im Round About Theatre am New Yorker am Broadway füllt die Kassen:
"Ich habe den Eindruck, dass die pluralistische Vielfalt der Meinungen zu Brecht immer wieder in diesem riesigen Land Amerika eine Rolle spielt - und dass diese Meinung dann auch jeweils zur Geltung kommt", so Joachim Lucchesi.
Im Spannungsfeld Kommerz - Kunst
Das Berliner Ensemble begeht den 50. Todestag des Dichters am 14. August mit einem dreiwöchigen Brecht-Fest, zu dem Theatergruppen aus der ganzen Welt eingeladen sind.
Brechts Geburtsstadt ehrt ihren großen Sohn ebenfalls mit einem Fest. Und Karl Maria Brandauer präsentiert im Berliner Admiralspalast zeitgerecht eine Neuinszenierung der "Dreigroschenoper". Im Spannungsfeld zwischen Kommerz und Kunst, Provokation und Analyse sind die Werke Bertolt Brechts nach wie vor aktuell.
Mehr zu Bertolt Brecht in oe1.ORF.at und Ö1 Inforadio
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Hör-Tipp
Alle Sendungen im Rahmen des Brecht-Schwerpunkts der nächsten 30 Tage finden Sie als Liste in Ö1 Programm
Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonnentInnen können die Sendereihe "Radiokolleg" vom Montag, 7. August, bis Donnerstag, 10. August 2005, 9:05 Uhr zum Thema "Bertolt Brecht - Der Mann mit den Masken" gesammelt jeweils am Donnerstag nach Ende der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.
Veranstaltungs-Tipps
Bertolt Brecht und Kurt Weill, "Die Dreigroschenoper", Freitag, 11. August (Premiere) bis Sonntag, 24. September 2006, Dienstag bis Samstag 20:00 Uhr, Sonntag 18:00 Uhr, Admiralspalast Berlin
Brecht Fest - 76 Theaterabende an 23 Tagen, Samstag, 12. August bis Sonntag, 3. September 2006, Berliner Ensemble
Links
Deutsches Historisches Museum - Bertolt Brecht
Wikipedia - Bertolt Brecht
Berliner Ensemble - Brechtfest
Stadt Augsburg - Brecht 2006
Bertolt Brechts Werke im www