Textbauten und Wortspiele

Einführung in die schöne Literatur

"Einführung in die schöne Literatur" ist Peter Esterházys erstes großes Werk. Erst jetzt wurde es aber komplett ins Deutsche übersetzt. Der große ungarische Wortspieler und Jongleur von Textbausteinen beweist hier einmal mehr sein Können.

In Péter Esterházys Monumentalwerk "Einführung in die schöne Literatur" taucht immer wieder das magische Datum 16. Juni auf. Das ist, wie alle Fans von James Joyce wissen, der Bloomsday, der Tag, an dem "Ulysses" spielt. Der 16. Juni ist aber auch der Tag der Hinrichtung von Imre Nagy, der 1958 als Anführer des Ungarn-Aufstandes hingerichtet wurde. Ein Datum der Weltliteratur und ein sehr ungarisches Datum, ein ästhetisches Signal und ein politisches - Esterházys Werk ist beides eingeschrieben.

Neue Epoche der ungarischen Literatur

Péter Esterházys "Einführung in die schöne Literatur", vor 20 Jahren in Budapest erschienen, läutete zusammen mit dem ebenfalls 1986 herausgekommenen "Buch der Erinnerung" von Péter Nádas eine neue Epoche der ungarischen Literatur ein. Wichtige Teile aus der "Einführung" sind bereits lange auf Deutsch übersetzt und machen Esterházys Ruhm aus: die Romane "Wer haftet für die Sicherheit der Lady" und "Kleine Pornografie Ungarns", Esterházys Antwort auf die Perversionen und Tabus des realsozialistischen Alltags und sein erster Erfolg im deutschen Sprachraum. Weiters die Romane "Fuhrleute", ein vieldimensionaler Text vom Überleben in Zeiten totalitärer Macht, und "Die Hilfsverben des Herzens", Esterházys literarischer Verarbeitung des Todes seiner Mutter.

Esterházy sind diese Romane, wie er selbst sagt, als Zimmer in einem großen Gebäude vorgeschwebt, und so wollte er dazu Treppen, Korridore und Fenster schaffen. Und das ist eben die "Einführung in die schöne Literatur".

Kommentare, Gegentexte, Zitate

"Flucht der Prosa" heißt der erste Teil der "Einführung in die schöne Literatur". "Am 16ten Juni, einem Werktagvormittag, zogen der Reihe und dem Namen nach folgende Wörter ein", heißt es da zu Beginn, und dann folgt eine fast dreiseitige alphabetische Liste.

Gegenüber und neben der Wörter-Parade laufen die unterschiedlichsten anderen Texte - Kommentare, Gegentexte, Zitate. Wobei es bei Esterházy kaum Zitate gibt, sondern "Gasttexte" - fremde Texte, die sozusagen eingeschmolzen und ein Teil des eigenen Textes werden. Es ist immer wieder interessant, wie dabei etwa Passagen von Handke, Bernhard oder Wittgenstein ihren Kontext ändern und zu etwas Neuem werden.

Immer wieder sind es auch Bilder und Symbole, die zu strukturierenden Eckpfeilern in Esterházys Prosa-Haus werden. Und auf Seite 13 steht unter der Überschrift "Mottomotto. Motto schlug zu, danach war Ruh" eine Zitatencollage, die Esterházys Verankerung in der ungarischen Literatur augenfällig macht.

Labyrinth der Wörter

Im Text verliert man natürlich gleich einmal die Orientierung, das gehört dazu bei Esterházy, und wenn man außersprachliche Referenzen sucht für das, was da scheinbar erzählt wird, ist man verloren. Und natürlich muss man sich immer wieder entscheiden, wo man weiter- und welchen Text man zuerst liest - eifriges Vor- und Zurückblättern ist garantiert. "Der Text lässt der Reihe nach alle jene Anhaltspunkte fallen, auf die wir zu Recht zählen würden", lautet eine Randnotiz auf Seite 134. Wie treffend beobachtet!

Ein wunderbarer schmaler Textkorridor ist das "Tagebuch des Gastwirts", in dem die folgenden Zeilen stehen:

Der Tagebuchschreiber beginnt nicht mit der Kenntnis des Lebens, sondern mit der des Wortes. Durch die Kenntnis des Lebens: kann er ein hervorragender Patriot sein, ein blendender Bürger, ein gewählter Internationalist und ein unerschrockener Päderast - aber um ein Tagebuchschreiber sein zu können: muss er konjugieren können.

Der Text endet in einer Collage, gebildet aus dem Datum "16. 6."

Fremdes wird Eigenes

Fremde Texte können für Péter Esterházy zu eigenen werden, auch und gerade im autobiografischsten und intimsten Baustein dieses Werkes, den "Hilfsverben des Herzens", wo er angesichts des Todes seiner Mutter gleich zu Beginn Handkes "Wunschloses Unglück" einmontiert. Konsequent bleibt er bei den Sätzen, den Wörtern, und Literatur bezieht sich auf Literatur. So setzt er sich ab von der klassischen Moderne und ihrer Suche nach der idealen Metapher, sondern zählt sich zur Nach-Moderne - dieses Wort ist ihm lieber als Postmoderne - und will verschiedene Versionen vorzeigen - einigermaßen gültige, aber eben trotzdem nur Versionen.

Der hochironische Titel "Einführung in die schöne Literatur" hält also in gewisser Weise sein Versprechen: Dieses Kompendium ist eine Einführung in die spezifische Art des Lesens, wie man sie nicht nur für Esterházy braucht, sondern für jede Literatur, die den direkten Zugriff auf die außersprachliche Wirklichkeit mit guten Gründen verweigert.

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Download-Tipp
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Buch-Tipp
Péter Esterházy, "Einführung in die schöne Literatur", aus dem Ungarischen übersetzt von Bern-Rainer Barth u. a., Berlin Verlag, ISBN 3827005396